Standpunkt

Die Baustelle 02/2023
Die duale Ausbildung bricht gerade massiv ein. Trotz der abklingenden Konjunktur steigt die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen kontinuierlich an. Zu Beginn des Ausbildungsjahres 2022 konnten über 200.000 freie Ausbildungsplätze nicht besetzt werden.

Besonders betroffen sind die Bauwirtschaft und weite Teile des Handwerks. Aber auch Hotels, Gaststätten und die vielen freiberuflichen Praxen und Kanzleien von Ärzten, Rechtsanwälten und Steuerberatern finden kaum noch Nachwuchs. Zum Ende dieses Jahrzehnts wird die Zahl der jungen Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, nur noch halb so groß sein wie die Anzahl derer, die aus Altersgründen ausscheiden.

Die Ausbildungskrise führt geradewegs zum Fachkräftemangel. Dieser bedroht unseren Wirtschaftsstandort. Die wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen kann nicht mehr angemessen betreut werden. Die Ziele der Energiewende können bis 2030 nicht erreicht werden, weil pro Jahr 400.000 Fachkräfte fehlen – Planer ebenso wie Handwerker. Es fehlen schlicht Arbeiter, um Ladesäulen oder Windräder aufzubauen. Schon heute können viele private und öffentliche Bau- und Sanierungsmaßnahmen nicht mehr zeitnah ausgeführt werden.

Ein Grund für die wachsende Facharbeiterlücke ist die anhaltende Bevorzugung des Abiturs vor der beruflichen Bildung. Heute verlässt die Hälfte eines Jahrgangs die Schule mit der Hochschulreife. Der Realund der Hauptschulabschluss werden zu zweitklassigen Abschlüssen degradiert. Die hohe Abiturientenquote wird über die gewollte Senkung der Anforderungen erreicht. Laut Leo-Studie 2018 der Universität Hamburg haben knapp 17 Prozent der funktionalen
Analphabeten in Deutschland Abitur oder einen vergleichbaren Schulabschluss. Seit Jahren klagen Ausbildungsbetriebe über fehlende Lese- und Schreibkompetenzen sowie unzureichende Mathematikkenntnisse.

Die vielen jungen Menschen mit Abitur oder Fachabitur sind nur schwer für eine Berufsausbildung zu begeistern und entscheiden sich mehrheitlich für ein Studium. Durch die Niveausenkung sind viele Abiturienten gar nicht mehr studierfähig; entsprechend hoch ist die Zahl der Studienabbrecher, die dann verspätet in den Ausbildungsmarkt integriert werden müssen. Einer DZHW- Pressemitteilung aus dem Jahr 2020 zufolge haben 2018 rund 32 Prozent der Studierenden an Universitäten ihr Bachelorstudium aufgegeben und im Masterstudium immerhin noch einmal 19 Prozent.
Was Deutschland braucht, ist ein konstanter Nachschub von beruflich qualifizierten Menschen in das Handwerk, die das Land umbauen, weiterentwickeln und auf höchstem technischem Niveau am Laufen halten. Wir werden unser Land nur modernisieren und zukunftsfest machen können, wenn wir den Akademisierungswahn beenden.

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