Interview mit Barbara Ettinger-Brinkmann, Bundesarchitektenkammer: Wie schaffen wir jetzt schnell bezahlbaren Wohnraum?

Mit Blick auf den hunderttausendfachen Bedarf an bezahlbarem Wohnraum in Deutschland fordert Barbara Ettinger-Brinkmann die öffentliche Hand auf, Flächenreserven zum Beispiel aus Konversion beschleunigt für einen „kostengünstigen und dennoch qualitätsvollen Wohnungsbau“ zur Verfügung zu stellen.

Dipl.-Ing. Barbara Ettinger-Brinkmann

Zur Anfang des Jahres in Kraft getretenen neuen Stufe der Energieeinsparverordnung (EnEV) erklärte sie: „Wenn (...) eine Familie in unseren Städten keine Wohnung mehr bezahlen kann, weil die teure Herstellung des Passivhausstandards auf die Miete umgelegt wird, dann müssen wir gegensteuern – oder aber die Politik muss dann mehr in die Tasche greifen.“ Die EnEV und das Erneuerbare Energien-Wärme-Gesetz müssen ihrer Meinung nach „dringend abgeglichen werden, damit Investitionshemmnisse abgebaut werden können“.

Nach einer aktuellen Prognose des Instituts Empirica wird allein durch die Zuwanderung von Flüchtlingen in Deutschland bis zum Jahr 2020 eine zusätzliche Wohnungsnachfrage von 656.000 Wohnungen entstehen. Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, damit diese auch geschaffen werden?

Alle Beteiligten sind sich im Prinzip einig, dass wir notwendigen Wohnraum vor allem zunächst im Rahmen städtebaulicher Nachverdichtung – Nutzung von Brachen, Aufstockungen – schaffen müssen, da in den Städten die größte Nachfrage und noch größerer Nachholbedarf besteht. Hier sehe ich die Notwendigkeit, vor allem auch die privaten Eigentümer als Investoren für das Bauen im Bestand zu gewinnen. Sehen wir uns die Eigentumsverhältnisse an, finden wir in den Städten kleinteilige Strukturen. Natürlich müssen wir auch die Grundstücke, die im Besitz des Bundes, der Länder und der Kommunen sind, berücksichtigen. Noch immer gibt es erstaunliche Reserven, etwa im Bereich der Konversionsflächen. Die öffentliche Hand sollte auch hier wieder mit gutem Beispiel vorangehen und für eine beschleunigte Abgabe dieser Flächen für kostengünstigen und dennoch qualitätsvollen Wohnungsbau sorgen. Steuerliche Erleichterungen sowie erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten sind der richtige Weg, den die Bundesregierung ja auch gehen will. Nach der Föderalismusreform 2006 sind die Länder in der Verantwortung für den Wohnungsbau. Bund und Länder müssen sich alsbald einigen, wie weiter gefördert wird. Aber nochmals zurück zu den privaten Investoren: In der wilhelminischen Gründerzeit sind riesige neue Stadtquartiere entstanden – durch die Initiative privater Investoren. Angesichts niedriger Zinsen und der derzeitigen Bedeutung des „Betongolds“ als Anlageobjekt brauchen wir also Grundstücke, Verdichtung, Aufstockungen. Wer mit offenen Augen durch die Städte geht, sieht noch überall Raum. Dabei kann auch ganz aktiv Stadtreparatur betrieben und noch immer klaffende Wunden können geheilt sowie städtebauliche Fehler korrigiert werden.

Nicht nur wegen der Flüchtlinge, sondern auch wegen einkommensschwächerer Menschen im eigenen Land brauchen wir in den Großstädten mehr bezahlbaren Wohnraum – insbesondere Sozialwohnungen. Vorschriften wie auch die im Januar in Kraft getretene neue Stufe der EnEV machen das Bauen teurer. Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zu der Forderung, diese Stufe zunächst einmal auszusetzen?

Die Bundesregierung hat selbst erkannt, dass mit den fortschreitenden Verschärfungen von Verordnungen wie der EnEV das Bauen bezahlbarer Wohnungen geradezu ausgebremst wurde. Deshalb hat sie sich mit Vertretern der  Bau- und Planungsverbände in einem „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“ zusammengesetzt und eine gründliche Analyse betrieben. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht „verkünsteln“ – wenn die nach EnEV 2016 gebaute Wohnung für kleine und mittlere Einkommen nicht bezahlbar ist, haben wir es doch zu sehr auf die Spitze getrieben. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich bin absolut für das Ziel der CO²-Reduktion und der Energieeinsparung. Wenn aber eine Familie in unseren Städten keine Wohnung mehr bezahlen kann, weil die teure Herstellung des Passivhausstandards auf die Miete umgelegt wird, dann müssen wir gegensteuern – oder aber die Politik muss dann mehr in die Tasche greifen. Ja, EnEV und Erneuerbare Energien-Wärme-Gesetz müssen dringend abgeglichen werden, damit Investitionshemmnisse abgebaut werden können.

Die Bundesregierung spricht immer wiederkehrend vom Bürokratieabbau. Findet dieser am Bau nach Ihrer Wahrnehmung tatsächlich statt?

Zunächst: eine funktionierende Verwaltung, eine straffe Organisation ist das Rückgrat einer demokratischen Gesellschaft. Ich stelle mich bewusst vor die Kollegen in den Behörden, die ja teilweise sehr tiefgehende Kenntnisse in technischen und planerischen Themen haben müssen. In einem so dicht besiedelten Land wie dem unseren ist Bauen immer ein Eingriff und berührt oft Interessen anderer. Insofern bin ich dafür, gerade unsere Bauverwaltungen zu stärken – finanziell und vor allem auch personell. Die besten Kräfte sind es, die wir an diesen Stellen brauchen, denn ihre Entscheidungen sind maßgeblich für die Gestaltung unserer Städte und Gemeinden! Abbau von Bürokratie ist da notwendig, wo der Föderalismus eigenartige Blüten treibt und unterschiedliche Höhen von Balkongeländern vorschreibt. Viele Verfahren könnten entschlackt und beschleunigt werden. Der Architektenwettbewerb müsste als anerkannt bestes und überdies auch sehr wirtschaftliches Mittel zur Findung der besten Lösungen im ganzen Land zum Regelverfahren erklärt werden. Mein Berufsstand macht mit diesem Verfahren ein unvergleichliches Angebot!  

„Das Warten auf die Baugenehmigung nimmt nicht selten ein halbes Jahr oder länger in Anspruch.“ Das kritisierte die Architektenkammer des Landes Niedersachsen im vergangenen Jahr. In der Immobilienwirtschaft ist sogar von längeren Fristen die Rede. Deckt sich dies mit Ihrer Wahrnehmung?

Ja, leider ist das der Fall. Eine Lösung habe ich ja eben schon skizziert. Die Kommunen haben in den vergangenen Jahren einen zu starken Abbau ihres Personals betrieben. Dies gilt es rückgängig zu machen. Die Baugenehmigungsbehörden dürfen nicht der Flaschenhals sein, sondern sie sollten zügig und dennoch mit wachem Auge für gute Qualität und die Belange aller ihre Arbeit tun.

Nun gibt es, auch in Niedersachsen, Vereinfachungen der Genehmigungsverfahren; der Katalog der verfahrensfreien Baumaßnahmen etwa wurde erweitert. Die Verantwortung für die Einhaltung aller materiellrechtlichen Anforderungen trägt aber weiterhin der Bauherr. Der Bauherr ist also gut beraten, einen gut ausgebildeten Spezialisten oder eine Spezialistin mit der Planung zu beauftragen – also einen Architekt oder eine Architektin. Sie übernehmen ein hohes Maß an Verantwortung. Das dahinterstehende Qualitätssicherungssystem stellen die Architektenkammern mit ihren Berufsordnungen.

So bietet es sich auch an, die Privatwirtschaft als Verstärker hinzuzuziehen und Aufgaben zu delegieren, die sich delegieren lassen, wie etwa B-Pläne von freischaffenden Kolleginnen und Kollegen bearbeiten zu lassen.

Können wir uns angesichts der Zuwanderung und des damit rapide steigenden (Miet-)Wohnungsbedarfs in Deutschland solche Genehmigungsfristen noch leisten?

Wenn Sie von Genehmigungen sprechen, die länger als ein halbes Jahr dauern, dann sage ich ganz klar nein. Die Zeit drängt, wir stehen alle bereit – da kann es nicht sein, dass es Engstellen gibt. Wenn diese existieren, sind die Verantwortlichen in den Kommunen dazu aufgefordert, diese zu beseitigen. Es gibt genügend herausragende Verwaltungsfachleute überall in diesem Land, die beispielhaft zeigen, wie man Ämter entsprechend ausstattet und organisiert.

Brauchen wir bundesweit verbindliche Fristen, innerhalb derer Bauanträge zu bearbeiten sind? Danach sollten Anträge auf Baugenehmigung automatisch als genehmigt gelten (Genehmigungsfiktion). Wie lang sollten solche Fristen sein?

Ich denke, das ist ein dringend politisch zu lösendes Problem. Wir müssen mit Best Practice-Beispielen, mit Fortbildung und, wie gesagt, vernünftiger Ausstattung der Behörden dafür sorgen, dass es ohne Stau weitergeht. Dafür setzt sich die Bundesarchitektenkammer übrigens intensiv in Berlin ein. Von einer Genehmigungsfiktion halte ich offen gestanden nichts. Wir haben uns zu vergewärtigen, dass Investoren aus nachvollziehbaren Gründen ihre wirtschaftlichen Interessen über ihre baukulturelle Verantwortung stellen. Die Genehmigungsbehörden sehe ich auch als Wächter über die Baukultur.

Ein Ärgernis und zudem potenziell existenzbedrohend für Bauunternehmen ist die Zahlungsmoral der öffentlichen Hand. Die Zahlungsmoral öffentlicher Auftraggeber ist laut Zahlungsmoral-Trend 2015 des Bundesverbandes Deutscher Inkasso-Unternehmen viel schlechter als die von privaten Auftraggebern. Nach Angaben von Creditreform kritisiert beispielsweise jedes vierte Handwerksunternehmen, dass öffentliche Auftraggeber nicht die regulären Zahlungsfristen von bis zu 30 Tagen einhalten. Was muss geschehen, damit sich das ändert?

Ich halte es schlicht für einen Skandal, dass es zu solchen Verzögerungen kommt. Die öffentliche Hand hat aus meiner Sicht absolute Vorbildfunktion. Sie muss notfalls dazu gezwungen werden, sich an geltendes Recht zu halten. Hier hilft wahrscheinlich vor allem öffentlicher Druck.     

Noch stärker betroffen sind Freiberufler. Laut Verband beratender Ingenieure zahlen nur 49 Prozent der öffentlichen Auftraggeber fristgerecht. Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?

Wir, die Betroffenen aus der Planungs- und Baubranche, müssen die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung an einen Tisch bringen und dieses Thema offensiv diskutieren. Im Koalitionsvertrag ist die Rede von der Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen und von der Bedeutung des Mittelstands, der ja ein Motor des wirtschaftlichen Erfolgs unseres Landes ist. Wer diesen Motor beschädigt, indem er Zahlungen herauszögert, muss daran erinnert werden, dass auch in einem Planungsbüro oder mit einer Baufirma Mitarbeiter und ihre Familien existenziell betroffen sein können. An rascher Zahlung muss übrigens ja auch die öffentliche Hand interessiert sein: verzögerte Zahlung heißt immer auch verzögerte Einnahme der Umsatzsteuer.

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