EnEV und Energieberatung – Chancen und Risiken für Baugewerbe und Handwerk

Christian Stolte ist Bereichsleiter Energieeffiziente Gebäude und Wärme der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) in Berlin. In diesem Interview beantwortet er Fragen zur Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV) in 2016, zu Problemen mit den Effizienz-Zielen im Gebäudebestand sowie zum umstrittenen Unabhängigkeitsgebot in der Energieberatung.

Christian Stolte, dena

2016 tritt die verschärfte EnEV 2014 in Kraft. Sie verteuere das Bauen laut Wohnungswirtschaft um bis zu elf Prozent, im Schnitt der Gebäudetypen um sieben Prozent. Sollte man die Verschärfung dieser Richtlinie angesichts mangelnder Sozialwohnungen und massiver Zuwanderung um fünf Jahre aussetzen, wie die Bauindustrie es fordert?

Das ist aus meiner Sicht ein falsches Signal. Zum einen haben sich viele darauf eingestellt. Zum anderen: Die neue Stufe der EnEV führt zwar zu gewissen Mehrkosten, sorgt in Zukunft aber auch für Einsparungen bei der Energie. Heute errichtete Gebäude stehen über mehrere Jahrzehnte. Deshalb ist es zukunftsweisend, die neue Stufe der EnEV nicht auszusetzen. Zudem: Die Ministerien haben mit Blick auf die Flüchtlinge ja bereits beschlossen, dass die EnEV bei leichten Behelfsbauten und Umnutzungen temporär ausgesetzt werden kann.

Das hilft uns in der aktuellen Lage mit einem sehr hohen Bedarf an neuem bezahlbaren Wohnraum und neuen Sozialwohnungen auch nicht weiter...

Wozu aber würde es führen, wenn wir, um jetzt etwas günstiger zu bauen, für Jahrzehnte höhere Bewirtschaftungskosten in Kauf nehmen? Seit 2000 hatten wir zudem den Effekt, dass weit mehr als die Hälfte aller Neubauten effizienter gebaut wurden als durch die EnEV gefordert. Das spricht dafür, dass viele Bauherren den Nutzen von Energieeffizienz auch ohne staatlichen Druck erfasst haben. Und was das untere preisliche Segment von Wohnungen angeht, halte ich es auch für eine falsche Strategie, an Sozialwohnungen niedrigere Standards anzulegen als an Wohnungen mit höherem Preisniveau. Denn dann kommt das Problem höherer Bewirtschaftungskosten über die Jahre mit doppelter Wucht auf uns zu und trifft jene, die weniger verdienen. Das wäre unsozial.

Bei Bestandsgebäuden sind die Rückstände sehr groß. Sollte der Staat auch hier den Druck erhöhen?

Der Rückstand im Gebäudebestand ist besonders hoch, und das macht mir Sorgen. Ich bin dennoch gegen einen Sanierungszwang. Wir sollten stattdessen auf Freiwilligkeit und Technologieoffenheit der Eigentümer setzen. Wir brauchen bei Bestandsgebäuden zudem eine sehr gute staatliche Förderung, die Effizienzmaßnahmen unterstützt.

Effizienzmaßnahmen wie eine Fassadendämmung rechnen sich möglicherweise nicht mehr zu Lebzeiten, wenn der Eigentümer 50 plus ist. Wie soll ein Handwerker gegenüber möglichen Auftraggebern argumentieren?

Es kommt zum Beispiel auf den Zustand des Bauteils an: Wenn eine Fassade ohnehin restauriert werden muss, weil sie zum Beispiel nicht mehr dicht ist, und die Wände feucht werden, kann die nachfolgende Sanierung ja nicht allein der Energieeffizienz angelastet werden. Zudem steigt der Wert eines Gebäudes dadurch, was im Fall eines Wiederverkaufs sofort zu Buche schlägt.

Die energetische Sanierungsrate liegt derzeit bei jährlich einem Prozent. Sie streben eine doppelt so hohe Rate an. Woran liegt es, dass Sie Ihr Ziel nicht erreichen?

Bauherren und Eigentümer wissen oft nicht, an wen sie sich wenden sollen. Und sie kennen die Einsparpotentiale nicht beziehungsweise haben kein Vertrauen in diese Potenziale. Wir brauchen mehr Energieberatung. Energieberater erarbeiten idealerweise eine Roadmap, in der zum einen Maßnahmen stehen, die den höchsten Effekt bringen, und zum anderen Maßnahmen, die im Zuge von ohnehin anstehenden Modernisierungen eingeleitet werden können. Wenn ich zum Beispiel ohnehin ein Dach erneuern muss, ist es nicht mehr viel Aufwand, noch etwas mehr für eine bessere Energieeffizienz zu tun. Die wird dann gleich mit eingebaut.

Im vergangenen Jahr wurde intensiv über die steuerliche Absetzbarkeit energetischer Maßnahmen diskutiert.

Im Entwurf des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz war dieser Steuer-Bonus enthalten. Doch er kam zu meinem Bedauern nicht zustande, weil sich Bund und Länder nicht über die Gegenfinanzierung einig werden konnten.

Und welche Art von Anreizen brauchen wir nun, um mehr energetische Sanierung und damit auch mehr Aufträge für unsere Bau- und Handwerksunternehmen zu erreichen?

Idealerweise brauchen wir einen Dreifach-Mix, der unterschiedliche Zielgruppen ansprechen kann.

1. Junge Familien werden den vergünstigten Kredit bevorzugen.

2. Eigentümer in den 50er-Jahren sind eher durch Direktzuschüsse zu locken, da ihre Immobilie zumeist schon abgezahlt ist.

3. Investoren und auch viele private Bauherren lassen sich wohl eher steuerlich zu Maßnahmen motivieren.

Da dies nach dem derzeitigen Stand für private Bauherren nicht möglich ist, müssen wir über Alternativen nachdenken. Kurzfristig wird der Steuer-Bonus nach meiner Einschätzung jetzt nicht kommen. Als Kompensation für die gescheiterte steuerliche Förderung ist nun beabsichtigt, ein Marktanreizprogramm zu schaffen, um bestimmte Maßnahmen im Zuge der energetischen Sanierung dennoch auf den Weg zu bringen. Auch bei Gewerbebauten haben wir großen Nachholbedarf.

Welche Maßnahmen sollen angeschoben werden?

Es soll beispielsweise ein Programm zur Einführung der Brennstoffzelle geben.

Für das Bauhandwerk und -Gewerbe ist das nur begrenzt attraktiv.

Es gibt auch Maßnahmen an der Gebäudehülle, die in Kombination mit anderen Maßnahmen verstärkt gefördert werden. Wir brauchen über all das hinaus sicher eine Informationsoffensive zur Energetischen Sanierung. Diese muss auch nicht-pekuniäre Vorteile einer energetischen Sanierung deutlich machen. Sie erreichen eine wesentlich behaglichere Wohnqualität, wenn beispielsweise Wände nicht mehr kalt sind oder wenn es nicht mehr durch die Fenster zieht. Das ist zum Beispiel für private Bauherren sehr motivierend. Man will sein Haus gemütlich machen, ihm etwas Gutes tun. Auch das Risiko von Feuchtigkeit und Schimmel an den Wänden reduziert sich durch energetische Sanierung deutlich, weil die Temperatur an der Innenwand dadurch steigt. Hier wäre es zum Beispiel hilfreich, wenn Bauwirtschaft und Handwerk Musterhäuser vorhielten, in denen sich so etwas vorerleben ließe. Wir haben ein Musterprojekt mit energetisch sanierten Beherbergungsbetrieben, in denen Gäste den Effekt einer Sanierung selbst erleben können.

Handwerks- und Baubetriebe sind die Hauptträger der energetischen Sanierung. Deren duale Ausbildung konkurriert vor der Kulisse des demografischen Wandels mit Hochschullaufbahnen, die junge Menschen immer stärker anziehen. Wie können wir vermeiden, dass der Nachwuchsmangel zum Nadelöhr der Energiewende wird?

Handwerk und Bauwirtschaft sollten die beruflichen Perspektiven der energetischen Sanierung für die Zukunft deutlich machen. Parteiübergreifend und auch gesellschaftlich deuten alle politischen Signale darauf hin, dass in Zukunft noch deutlich mehr getan werden wird, damit wir die Energiewende schaffen. Wer sich heute darauf spezialisiert, steht morgen mitten im Zentrum einer wachsenden Nachfrage nach Fachkräften. Wir haben es hier mit einem Wachstumsmarkt zu tun, der auch berufliche Weiterentwicklungen ermöglicht – zum Beispiel eine Karriere als Energieberater oder Spezialist für den Einbau von Effizienztechniken.

Sie haben die Karriere-Option des Energieberaters erwähnt. Gerade dieses Berufsbild löst im Handwerk und Baugewerbe heftigen Unmut aus, und zwar wegen des Unabhängigkeitsgebotes: Wenn ein Handwerker eine geförderte  Energieberatung durchführt, darf er das Projekt, für das er berät, nicht selbst realisieren. Würden Sie denn einem Arzt verbieten, einen Patienten zu operieren, den er zuvor beraten hat?

Ich möchte den Sachverhalt und die Debatte darum zunächst einmal in ihre Bestandteile zerlegen. Als dena sind wir bei der Energieeffizienz-Expertenliste für die Förderprogramme des Bundes natürlich an die Richtlinie des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle für die geförderte Vor-Ortberatung des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) gebunden. Ein Handwerker kann sich durchaus als Energieberater qualifizieren, selbstständig machen und staatlich geförderte Energieberatung machen. Wenn er sich entscheidet, einen Handwerksbetrieb zu betreiben, dann darf er natürlich weiter energetisch beraten und auch Projekte realisieren. Nur wird diese energetische Beratung dann nicht öffentlich bezuschusst. Ein zweiter Aspekt ist mir wichtig: Jeder in unserer Expertenliste, bei der es um die KfW-Förderung geht, ob Stuckateur oder Heizungsbauer, darf bei entsprechender Qualifikation, die wir nachprüfen, Einzelmaßnahmen auch selbst umsetzen. Für das Handwerk wichtig: Es geht hier um die Einzelmaßnahmen, in denen dies Unternehmen selbst tätig ist. Sie dürfen dazu den Bauherren informieren, die Maßnahmen selbst mit Förderung umsetzen und selber bestätigen.

Unterstellen wir, dass ich als Energieberater qualifiziert bin, einen Meisterbetrieb habe und mit meinen Putzerkolonnen Gebäude dämme: Dann darf ich doch das Projekt nicht übernehmen, wenn ich den Bauherren zuvor beraten habe.

Doch, das dürfen sie. Sie erhalten jedoch keine Förderung für die Vor-Ort-Energieberatung, da hier das Unabhängigkeitskriterium nicht gewährleistet ist.

Von welchen Beträgen sprechen wir bei der Energieberatung?

Bei einer umfassenden Energieberatung muss beispielsweise ein Stuckateur das gesamte Haus als System untersuchen. Er muss auch Angaben zur Heizungsanlage, zu Amortisationszeiten einzelner Maßnahmen und auch zu Einsparungen beim CO2-Ausstoß machen können. Das ist ein sehr detaillierter und umfangreicher Bericht. Je nach Gebäudegröße wird diese Beratung mit 60 Prozent der förderfähigen Beratungskosten, maximal jedoch mit 800 Euro  bezuschusst. Im Umsetzungsteil: Wenn der Stuckateur eine Dämmung empfohlen hat, können bei der KfW Zuschüsse dafür beantragt werden. In der Umsetzung liegt dann ja das Hauptgeschäft für den Handwerker. Die maximal 800 Euro für die Beratung würde er in diesem Fall nicht bekommen.

Zurück zu meinem Bild aus der Medizin: Auch dem Arzt wird für seine Beratung bezahlt, auch wenn er derjenige ist, der den Patienten anschließend operiert. Warum legt man an Handwerker härtere Maßstäbe an?

Diese Regelung gibt es seit dem Beginn des Vor-Ort-Beratungsprogramms. Seitdem gibt es diese Diskussion. Das BMWi bestand und besteht auf dieses Unabhängigkeits-Kriterium, und wir als dena müssen dies in unserer Expertenliste abbilden. Ich halte grundsätzlich aber auch ein System für denkbar, das bestimmte Standards der Beratung zum Beispiel über eine Software nachvollziehbar macht und gleichzeitig die Trennung zwischen Beratung und Ausführung nicht mehr so strikt handhabt wie bisher. Dies setzt in der Beratung einen nachprüfbaren Qualitätsstandard voraus. Damit soll verhindert werden, dass Handwerker vor allem Maßnahmen empfehlen, die das eigene Gewerk betreffen, und möglicherweise beispielsweise dringlichere Mängel an der Heizungsanlage nicht in Betracht zieht. Das war ja der Grund dafür, dass das Unabhängigkeitsgebot eingeführt worden ist.

Meiner Meinung nach wäre es auch möglich, ein Software-gestütztes Qualitätssicherungssystem aufzubauen, das durch automatische Plausibilitätstests nachvollziehbar dafür sorgt, dass wirklich alle Kriterien einer Energieberatung ausreichend gewürdigt werden. Im Gegenzug könnten beratende Handwerker dann auch das Projekt übernehmen. Die Diskussion über das Unabhängigkeitsgebot in der Energieberatung ist keineswegs überflüssig und sie muss auch fortgesetzt werden. Möglicherweise finden wir aber ja noch bessere Lösungen als das Unabhängigkeitsgebot. Das ist ein durchaus zu diskutierender Ansatz. Wichtig ist, dass Qualität und Verlässlichkeit in der Energieberatung gesichert werden!

Ärger verursachen auch die Kosten für die Unterrichtseinheiten, um sich zum Energieberater fortbilden zu lassen, und Auffrischungseinheiten, damit sie in Ihrer Expertenliste bleiben können.

Als dena machen wir hinsichtlich der Preisgestaltung keine Vorgaben. Bei Ingenieuren bieten Kammern eigene Fortbildungen für ihre Mitglieder an, die wir auch anerkennen. Zu den Auffrischungen: Es ist soviel Dynamik in der Förderung, in der EnEV, im Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Wir halten es deshalb für angemessen, dass man sich alle zwei Jahre einmal zwei bis drei Tage hinsetzt, um sich auf den neuesten Stand zu bringen. Ich glaube übrigens, dass das die meisten ohnehin tun.

Im Regelheft ist von Zwei- bis Dreijahres-Intervallen die Rede.

Bis dato lag das Intervall für eine Verlängerung der Listung in unserer Expertenliste bei zwei Jahren. Wir wollen es auf drei Jahre erweitern. Bis dato waren 16 Unterrichtseinheiten in zwei Jahren erforderlich, jetzt sind es 24 in drei Jahren. Wir gehen also nicht ab von unserem Anspruch. Das ist dieselbe Menge, aber die Experten können sich das dann besser einteilen und haben geringeren Aufwand bei dem Nachweis der Unterlagen.

Sie haben eben davon gesprochen, dass wir mehr Kommunikation brauchen, um die Effizienz-Ziele zu erreichen. Dafür sind Energieberater wichtig. Die Zahl der Neueinsteiger sinkt jedoch nach einem steilen Anstieg seit 2006 kontinuierlich. Was tun?

Viele haben zu Anfang die sehr guten Fortbildungskurse des Handwerks in Anspruch genommen und sind nun Energieberater. Zudem ist das Handwerk zurzeit sehr gut ausgelastet; auch das beeinflusst möglicherweise das Interesse an Fortbildung. Auch die Nachfrage beeinflusst das Interesse am Beruf des Energieberaters. Wir rufen deshalb alle Akteure – auch im Baugewerbe und im Handwerk – auf, die Energieberatung noch stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. Viele Hauseigentümer, Bauherren und Investoren wissen noch gar nicht, welch umfassendes Angebot sie da vor sich haben. Mehr Information darüber wird hier auch mehr Markt entstehen lassen.

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