Interview mit Prof. Dipl.-Ing. Hans-Georg Oltmanns: „BIM: Wir müssen wieder Bauen lernen!“

Oltmann ist im Vorstand von BuildingSMART e. V. und wurde Mitglied im BIM-Beirat beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). „Wir müssen wieder bauen lernen", fordert er im Gespräch mit DIE BAUSTELLE und sieht in der gründlichen virtuellen Planung durch Building Information Modeling (BIM) einen entscheidenden Hebel dazu.

Porträt Hans-Georg Oltmann


Hans-Georg Oltmanns ist Prüfingenieur für Baustatik im Ingenieurbüro Oltmanns und Partner GmbH in Oldenburg. Seit 1998 ist er Lehrbeauftragter der Jadehochschule Oldenburg, die ihn zum Honorarprofessor berufen hat.

Herr Professor Oltmanns, warum brauchen wir BIM?

Weil wir den Status quo auf deutschen Baustellen ändern und produktiver werden müssen. Wir müssen uns fragen, warum Baustellen stocken und warum es immer wieder Nachträge gibt. Weil wir mit Grundrissen und Schnitten auf dem Papier zu bauen beginnen und den Rest der Planung dann parallel dazu erledigen wollen. Auf der einen Seite stehen die Architekten, die ihre Pläne in einer Art Geheimsprache erledigen. Und auf der anderen Seite stehen Bauausführende, die diese Pläne interpretieren und sich den Rest der Realisierung vor Ort dann irgendwie dazu denken müssen. Ein einfaches Beispiel, um zu beschreiben, was ich damit meine: Auf dem Papier ist die Wand eines fünfstöckigen Gebäudes bisher durchgehend dargestellt und die Gebäudedecken werden dann irgendwie hineingesteckt. Dabei weiß jeder Polier am Bau, dass ein solcher Fünfgeschosser ganz anders gebaut wird. Fundament, Wand, Decke, neue Wand, Decke und so weiter. Das bilden wir in einem virtuellen BIM-Modell genau so ab – und zwar, bevor der erste Bauausführende aktiv geworden ist. Bevor auch nur ein Stein gesetzt worden ist, haben wir das Gebäude virtuell bereits komplett durchgeplant. In diesem Planungsprozess haben wir auch die Detailwünsche des Auftraggebers bereits eingepflegt.

Wie muss man sich das praktisch vorstellen?

Der Auftraggeber kann zum Beispiel mit einer virtuellen Brille arbeiten und sich durch sein Gebäude bewegen. Er kann Wände verändern oder auch Türanschläge, im Fall eines Gewerbebaus auch Fahrwege und Gleise. Dieses System ist anders als bisherige 2D-Pläne laienverständlich, weil der Auftraggeber beziehungsweise Kunde sein künftiges Gebäude ja vorab dreidimensional erleben kann. In Echtzeit können sich auch Projektbeteiligte ortsunabhängig gemeinsam durch das Projekt bewegen und die Planung gemeinsam vorantreiben, Erst wenn das Gebäude inklusive Haustechnik und Installation voll durchgeplant ist und der Kunde die Planung abgenommen hat, fangen wir bei BIM an zu bauen.

Das klingt für viele wie Zukunftsmusik...

In der Industrie ist das bereits Realität. Zum Beispiel arbeitet man im Schiffsbau so. Die Meyer-Werft erstellt in 32 Monaten schwimmende Gebäude mit tausenden von Kabinen und Betten. Sie planen lange, die reale Bauzeit in der Werft beträgt dann in der Regel nur rund ein halbes Jahr.

Und wenn der Kunde dann doch noch Nachbesserungen hat?

Dann werden diese anhand des virtuellen Modells besprochen und eingepflegt. Dabei wird dann auch gleich deutlich, welche Mehrkosten entstehen. Das Denken und Planen in virtuellen Modellen verkürzt und strafft die reale Bauzeit und hat auf der Meyer-Werft für einen Produktivitätsschub gesorgt: Sie baut heute im Jahr statt einem zwei Schiffe in einer Halle. Wir brauchen einen solchen Produktivitätsschub auch in der Baubranche. Nur so werden wir die Kosten in Zaum und Arbeitsplätze erhalten können. Andere Länder sind schon wesentlich weiter mit BIM.

Beispielsweise?

Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Holland und Großbritannien. In der Bauvorbereitung für die Olympischen Spiele haben die Planungsverantwortlichen die Baufirmen mit an den BIM-Planungstisch geholt und deren Zeit bezahlt. Das Projekt ist pünktlich fertig geworden und im veranschlagten Preisrahmen geblieben. Die Ausführungsreserve von einer Mrd. Euro ist nicht angetastet worden. Vergleichen Sie das einmal mit den üblichen Verläufen öffentlicher Bauvorhaben in Deutschland! Wir haben das in der Reformkommission des BMVI analysiert. Wir reden in Deutschland zu viel über Probleme mit BIM und zu wenig über die Vereinfachung und Straffung beim Bauen, die damit möglich sind.

Die Player bei Olympia in London waren Konzerne. Die Durchschnitts-Mann-Zahl niedersächsischer Baugewerbe-Unternehmen liegt unter zehn Mitarbeitern. Wie sollen solche Unternehmen ohne digitale Fachabteilungen in wenigen Jahren vom analogen zum digitalen Bauen aufschließen?

Wir müssen hier differenzieren. Mit kompletten BIM-Modellen beschäftigen sich Spezialisten in Planungsbüros oder Planungsabteilungen...

...bisher arbeitet nur ein kleiner Teil der Architekten mit BIM!

Diese Büros verfügen vielfach bereits über Programme wie Revit und könnten damit eigentlich dreidimensional modellieren. Stattdessen erstellen sie mit diesen Programmen Grundrisse. Und wenn sie eine Seitenansicht erstellen, bearbeiten manche diese im Anschluss per Software so, dass die Linien wie traditionell handgezeichnet wirken. Das ist nicht die Zukunft. Der Druck des Marktes wird hier für einen Wandel sorgen.

Dem sich auch die bereits angesprochenen kleinen und mittelständischen Unternehmen im Baugewerbe zu stellen haben?

In meinem Umfeld gibt es eine mittelständische Firma, die sich BIM stellt, soweit sie das überblicken kann. Wir haben die Mitarbeiter zwei Wochen berufsbegleitend geschult. Es gibt immer noch traditionelle Pläne, aber zunehmend holen sich die Baubeteiligten die benötigten Informationen aus dem Modell heraus. Sie nutzen dazu Model-Viewer, die einfach im Internet downgeloaded werden können. Damit kann man sich BIM-Modelle anschauen, diese aber nicht verändern. Die Software-Hersteller stellen sie vielfach kostenlos bereit. Wer ein iPhone bedienen kann, kann auch einen Model-Viewer bedienen. Sie laufen auf handelsüblichen Rechnern und Tablets. Die Mitarbeiter können so ganz einfach in die neue Technologie hineinwachsen und parallel mit Viewern und Plänen arbeiten. Soft-Landing nennt man das in England.

Dann wächst der Appetit auf BIM also mit dem Essen?

Wir haben das auf einer Versuchsbaustelle mit Polieren und Tablets probiert. Der Polier hat hier alle zeitlichen Schritte drin und braucht nur anzuklicken, ob es passt oder nicht. Damit hat er auch sein Bautagebuch bereits geführt. Auch Ältere arbeiten heute in ihrem Privatleben ganz selbstverständlich mit Apps. Der Umgang mit BIM ist für Bauausführende auch nicht schwieriger.

Dennoch stellt sich die Frage: Wo soll so plötzlich das Personal herkommen, um die digitale Revolution am Bau zu schaffen?

Wir haben hier eine Lücke, die verschiedene Gründe hat. Die Berufsgruppe, die den digitalen Wandel lange verweigert. Auch die vielfach ältere Chefebene in den Betrieben hat den Wandel lange Zeit ignoriert. Das gilt auch für die Kammern. Doch die sind jetzt aufgewacht.

Planer müssen anfangen, sich vom Papier zu verabschieden und beginnen, zu modellieren. Architekten müssen in Bauteilen denken und damit wieder zu Baumeistern werden. Auch Mörtelfugen müssen mit einkalkuliert werden. Diese 3D-Programme können das! Nur wenn wir alle Details eines Bauwerks miterfassen, können BIM-Programme ihr volles Potenzial entfalten. Wir müssen modellieren, wie tatsächlich gebaut wird. Der Spruch „Das regelt dann die Baustelle" muss weg. Das vermeidet Fehler und Fehlinterpretationen in der Umsetzung und erleichtert die Arbeit für die beauftragte Baufirma. Wir gehen damit auch sicher, dass der Bauherr das bekommt, was er bestellt hat. Planer müssen wieder bauen lernen. Und zwar bereits im virtuellen Modell. Viele Jüngere unter ihnen würden lieber heute als morgen mit BIM arbeiten. Sie spüren den Druck des Marktes. In Dubai und Katar ist BIM bereits Pflicht. In zwei Jahren werden wir auch in Deutschland deutlich weiter sein. Handwerker tun gut daran, sich damit zu beschäftigen und sich fitzumachen.

Leisten unsere Hochschulen bei der Ausbildung von BIM-Nachwuchs genug?

Die Hochschulen haben sich bei BIM lange zurückgehalten. Das liegt zum Teil daran, dass einige Professoren schon lange im Dienst und damit der Baupraxis entrückt sind. Sie sind teilweise nicht bereit, ihre Kollegs, die Lehrinhalte, umzuschreiben. Ein weiteres Hemmnis: Sie müssen neue Lehrinhalte – und damit auch BIM – akkreditieren lassen. Auch das bringt Verzögerungen. Zudem sind Inhalte oft zu theoretisch. Die Jade-Hochschule fängt jetzt an, BIM zu unterrichten. Doch die Fachleute, die hier ausgebildet werden, stehen erst in vier Jahren zur Verfügung. Kurse zu BIM sollten verstärkt angeboten werden. Digitales Modellieren sollte bereits im Grundstudium angeboten werden, um die BIM-Fachkräfte-Lücke zu füllen.

Können Sie sich BIM-Spezialisten als Duales Ausbildungsbild vorstellen? Oder regieren in Zukunft Akademiker am Bau?

Viele Hochschulen sind nicht darauf eingerichtet. In Niedersachsen bietet nur die Hochschule 21 ein Duales Studium an. Dabei wäre es sehr befruchtend für die Hochschulen, solche Praktiker in ihren Studiengängen zu haben. Denn sie tragen ihre Kenntnisse aus der Baurealität auf den Campus zurück. Die Innovationsgeschwindigkeit ist in der Praxis heute wesentlich höher als früher.

Wie bekommen wir unsere bestehende Mitarbeiterschaft auf die digitale Arbeitshöhe? Bringt Bauerfahrungswissen langjähriger Mitarbeiter überhaupt etwas?

Wir stellen in meinem Büro ältere Praktiker und Digital Natives zu Teams zusammen. Sie erstellen ein BPMN-Modell, einen Start-Ende-Prozess für ein Bauvorhaben. Diesen können dann alle anderen Mitarbeiter übernehmen. Dieser Prozess bezieht automatisch alle Vorschriften mit ein. Die Industrie ist hier – wie bereits gesagt – deutlich weiter als das Baugewerbe.

Auf dem Weg zum digitalen Bauen beklagen viele, dass es Schnittstellenprobleme mit den verschiedenen Softwares gibt, die im Einsatz sind. Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?

Natürlich wäre es theoretisch besser, wenn es nur ein Standardprogramm für BIM gäbe. Wir in Deutschland haben die Angewohnheit, ständig nur die Probleme zu fokussieren. Andere Länder haben die Chancen von BIM erkannt und sind deshalb schon deutlich weiter.

Peter Krauß, Geschäftsführer der Hasselmann GmbH, die als Auftragnehmer der DB Netz AG bereits digital arbeitet, beklagt, dass er die Abrechnung immer noch im Papier leisten muss und damit den möglichen Rationalisierungsvorteil einer Abrechnung direkt aus dem digitalen Modell nicht leisten kann. Was tun?

Die VOB Teil C sieht das derzeit noch nicht vor. Sie muss dann entsprechend angepasst werden. Im privaten Bausektor können allerdings bereits jetzt beide Seiten eine direkte Abrechnung aus dem Modell vertraglich vereinbaren. Das gibt den beteiligten Baufirmen mehr Sicherheit bei Mehrkosten. Es spart Arbeitsaufwände bei der Rechnungsprüfung und vermeidet Streit. Zudem werden Rechnungen schneller bezahlt.

Wie beurteilen Sie die Kompetenz und Unterstützung des BMVI in Sachen BIM?

Bisher sind die Verantwortlichkeiten für Bau auf drei Ministerien verteilt. Es wäre auch im Sinne einer optimalen Unterstützung von BIM sicher besser, diese in einem zentralen Bauministerium zusammenzufassen. Unser Ziel muss es sein, dass 2020 auch die mittelständische Bauwirtschaft flächendeckend mit BIM zu arbeitet.

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