Mindestlohnbürokratie und Kostentreiber im Bauwesen: Was tun, Herr Pakleppa?

Rechtsanwalt Felix Pakleppa ist Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe (ZDB). Im Interview mit DIE BAUSTELLE spricht er über die Zukunft des Mindestlohnes und eine wachsende Zahl staatlicher Auflagen, die die Baukosten nach oben treiben.

Felix Pakleppa

Pakleppa äußerte sich zuversichtlich, dass die Bundesregierung Nachbesserungen bei der Mindestlohn-Bürokratie auf den Weg bringen werde. Die Bundesregierung arbeite bereits daran.

Das statistische Bundesamt meldete jüngst, dass der amtliche Bürokratiekostenindex auf einen Tiefststand gesunken sei. Wie passt das zu Klagen der Betriebe über die enorm gewachsenen Dokumentationspflichten im Zuge des Mindestlohngesetzes (MiLoG)?

Der Bürokratiekostenindex wird seit 2012 gemessen. Dabei wird die Belastung des Jahres 2012 gleich 100 gesetzt. Für das Jahr 2014 hat das Statistische Bundesamt nun einen Wert von 100,13 ermittelt. Es mag damit der tiefste Wert seit 2012 sein. Man kann aber auch feststellen, dass es seit 2012 nicht gelungen ist, die Bürokratiekosten tatsächlich zu senken. Und mit dem MiLoG oder wie es „unbürokratisch“ heißt,  mit dem „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ hat die Bundesregierung der Wirtschaft einen schweren Bürokratiekosten-Rucksack umgehängt.

Dadurch sind die Dokumentationspflichten für die im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Wirtschaftszweige über das bisherige Maß hinaus erweitert worden, ohne dass das in irgendeiner Weise notwendig erscheint. Die Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeit von Angestellten halten wir für unverhältnismäßig und überflüssig, weil bei dieser Beschäftigtengruppe aufgrund des Verdienstniveaus überhaupt keine Gefahr von Mindestlohnverstößen besteht.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sieht keinen Anlass zu Änderungen der Dokumentationspflichten. Ein Koalitionsausschuss Ende April ist auch in dieser Frage gescheitert. Bundeskanzlerin Angela Merkel will Probleme prüfen. Reicht Ihnen diese Aussage?

Diese Aussage reicht natürlich nicht. Wir setzen aber auf einen einstimmigen Beschluss der CDU / CSU-Bundestagsfraktion,  den Mindestlohn zu entbürokratisieren und auf Fehlentwicklungen zu überprüfen. Dieser Beschluss kam im Januar auf Initiative des Parlamentskreises Mittelstand zustande; auch die Bundeskanzlerin hat ihm zugestimmt. Die von uns geforderten Einschränkungen der Dokumentationspflichten sind nicht vom Tisch, sondern lediglich vertagt. Wir brauchen also noch Geduld. Im Übrigen: Ein anderes Ergebnis des Koalitionsausschusses war drei Tage vor dem „Tag der Arbeit“ jedoch auch nicht zu erwarten.

Brauchen wir beziehungsweise erwarten Sie ein Machtwort der Kanzlerin, um diesen „bürokratischen Irrsinn in Zusammenhang mit dem Mindestlohn“ – Zitat CSU-Chef Horst Seehofer – in vernünftige Bahnen zu lenken?

Jedes „Machtwort“ kann erfahrungsgemäß zu einer Verhärtung der Fronten führen – das kennen wir aus vielen Verhandlungssituationen. Was wir brauchen, ist deshalb ein für alle gesichtswahrender Weg, um die geltenden Regelungen im Gesetz und in der Verordnung zu entschärfen. Wir wissen, dass daran innerhalb der Bundesregierung gearbeitet wird.

Teilen Sie Seehofers Optimismus, dass es vor der Sommerpause zu einem Kompromiss und damit zu Verbesserungen kommt?

Wenn die Stimmung innerhalb der Regierungskoalition besser gewesen wäre, wäre wohl schon früher ein Kompromiss möglich gewesen. Ob dies jetzt noch vor der Sommerpause gelingen kann, hängt nach meiner Einschätzung in erster Linie von der Terminierung und von den sonstigen streitigen Themen im Koalitionsausschuss ab. Wir haben jedenfalls erfolgversprechende Signale, dass zurzeit ein Kompromisspaket geschnürt wird, das auch die von der SPD gestellten Bundesminister akzeptieren können müssten.

Was sollte als Notreparatur zuerst angefasst werden?

Vorrangig sind für uns bürokratische Entlastungen bei den Mindestlohn-Dokumentationspflichten und auch gesetzliche Klarstellungen hinsichtlich der Reichweite der sogenannten Auftraggeberhaftung für den gesetzlichen Mindestlohn, welche in der Baubetriebspraxis zu erheblicher Rechtsunsicherheit in den Vertragsbeziehungen zwischen unseren Mitgliedsbetrieben als Auftragnehmern und ihren Auftraggebern geführt hat.

Viele Unternehmen versuchen sich durch bilaterale Verträge mit Subunternehmern vor der Haftung bei Verstößen von Auftragnehmern gegen das MiLoG zu schützen. Es gibt Zweifel, ob das rechtlich Bestand hat. Was raten Sie Ihren Mitgliedern vor diesem Hintergrund?

Die Vereinbarungen in den Nachunternehmerverträgen können in der Tat nur begrenzte Wirkung haben. Der von uns entwickelte Muster-Nachunternehmervertrag sieht aber Sicherheitsleistungen vor, mit denen auch die Ansprüche aus den gesetzlichen Haftungsregelungen zum Mindestlohn, zu den Beiträgen der Sozialkasse der Bauwirtschaft (SOKA-BAU), zu den Sozialversicherungsbeiträgen und zu den Berufsgenossenschafts-Beiträgen abgesichert werden können.

Im Übrigen muss man wissen, dass die gesetzliche Haftung für den Mindestlohn verschuldensunabhängig ausgestaltet worden ist. Das ist aber nicht neu, sondern gilt auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes schon lange für die tariflichen Mindestlöhne im Baugewerbe. Dagegen entfällt die Haftung für den Urlaubskassenbeitrag sowie für die Sozialversicherungsbeiträge, wenn der Unternehmer ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer seine Zahlungspflicht erfüllt. Diesem Zweck dienen beispielsweise die von dem ZDB mit entwickelten SOKA-BAU-Enthaftungsbescheinigungen; diese enthalten Angaben über die ordnungsgemäße Meldung und Zahlung der Sozialkassenbeiträge, die Anzahl der in den letzten drei Monaten gemeldeten Arbeitnehmer sowie über die gemeldeten Bruttolohnsummen. Auch durch den Einsatz von präqualifizierten Nachunternehmern kann man als Hauptunternehmer entsprechende Sicherheit erhalten.

Ist diese Rechtsunsicherheit durch die Hauptunternehmerhaftung für die Unternehmen hinnehmbar?

Wenn man den Mindestlohn und seine Durchsetzung durch staatliche Kontrollen einerseits und durch die Hauptunternehmerhaftung andererseits ernst nimmt, wird man eine gewisse Rechtsunsicherheit wegen der Verschuldensunabhängigkeit der Haftung für den Mindestlohn wohl in Kauf nehmen müssen. Sie soll letztlich verhindern, dass der Mindestlohn im Wege sogenannter Subunternehmerketten umgangen werden kann. Der Haftungsverteilung liegt in diesen Fällen der Gedanke des „Veranlasserprinzips“ zugrunde. Danach soll derjenige das Risiko der Einhaltung der Mindestlöhne in jedem Falle mit tragen, der durch eine Weitergabe seines eigenen Auftrages an einen anderen Unternehmer eine zusätzliche Partei in die Leistungsabwicklung involviert.

Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen, an der auch Ihr Verband beteiligt ist, hat jüngst eine Studie vorgelegt, nach der vor allem behördliche und staatliche Auflagen zu einer Verteuerung der Baukosten für ein Mehrfamilienhaus gesorgt haben.

Die Steigerung der reinen Baukosten durch die Bauwirtschaft selbst entspricht dabei weitgehend der allgemeinen Teuerungsrate (plus 27 Prozent bei 25 Prozent Teuerungsrate seit dem Jahr 2000). Unter Anrechnung der Energieeinsparverordnung (EnEV) ab 2016 liegt der Gesamtkostenanstieg bei gut 45 Prozent. Ist das aus Ihrer Sicht sozial noch ausgewogen? Und wie können beziehungsweise sollten Kostentreiber beim Bauen begrenzt werden?

Zunächst noch einmal ganz deutlich: Die reinen Baukosten, also die Kosten, auf die Bauunternehmen Einfluss haben, sind in den letzten Jahren nicht stärker gestiegen als die allgemeine Teuerungsrate. Die Preise, die Unternehmen des Bauhauptgewerbes berechnen – also für die Erstellung des Rohbaus – sind  sogar deutlich unter dem Durchschnitt geblieben. Insofern stiftet der Name der von der Regierung eingesetzten „Baukostensenkungskommission“ eine völlig falsche Vorstellung, von dem was die Mietpreise treibt.

Der Anstieg der Immobilienpreise – und damit der Mietpreise – ist im Wesentlichen auf verschärfte ordnungsrechtliche Anforderungen in Bezug auf Energieeffizienz, Barrierefreiheit, Standsicherheit, Brand- und Schallschutz – aber auch auf höhere Qualitätsansprüche der Nutzer – zum Beispiel größere Bäder – zurückzuführen. Im Zusammenhang damit gewinnt die Technische Gebäudeausrüstung (TGA) an Bedeutung. Der Anteil der Ausbaukosten macht inklusive der TGA heute mehr als 50 Prozent der Bauwerkskosten aus. Vor zehn Jahren war das noch anders herum.

Zur Kostenbelastung für Investoren und damit dann auch für die Mieter tragen aber insbesondere auch die stark gestiegenen Baulandpreise, die in vielen Bundesländern stark erhöhte Grunderwerbsteuer und die Notarkosten bei.

Auch Anforderungen an die Barrierefreiheit, den Brandschutz oder die Schnee-, Sturm- und Erdbebensicherheit von Gebäuden steigen. Hinzu kommen steigende kommunale Auflagen, etwa über Naturschutzgutachten. Wo ist hier aus Ihrer Sicht das vernünftige Maß überschritten? Und wo müssen Korrekturen vorgenommen werden?

Die politisch Verantwortlichen müssen wieder ein stärkeres Bewusstsein für die wirtschaftliche Bedeu­tung der technischen Regelungen und Normen entwickeln. Insbesondere die heute geltenden Standards für den Wohnungsbau müssen überprüft und politisch im Hinblick auf die verursachten Gesamtkosten bewertet werden. In vielen Bereichen wie zum Beispiel dem Umweltrecht kämpfen wir aber zurzeit gegen weitere Kostenbelastungen durch geplante Verschärfungen der Mantelverordnung. Wenn Politiker bei Neubauten überdachte Fahrradständer oder begrünte Dächer fordern, haben sie den Ernst der Lage nicht verstanden. Vor allem Haushalte mit geringen und zunehmend auch mittleren Einkommen können sich vor diesem Hintergrund das Wohnen in neu errichteten Gebäuden nur noch mit staatlicher Hilfe leisten.

Mietpreisbremsen lösen das Problem nicht. Es braucht mehr neue Wohnungen am Markt. Die Fertigstellungszahlen hinken immer noch deutlich hinter dem Bedarf hinterher. Wir sind überzeugt, dass eine Anpassung der Abschreibungsbedingungen an den tatsächlichen Wertverlust von Mietimmobilien eine entscheidende Rahmenbedingung ist, um hier voranzukommen.

Setzt man die derzeitige lineare Regelabschreibung von zwei auf vier Prozent, so würde damit der Tatsache Rechnung getragen, dass inzwischen der überwiegende Teil der Kosten für einen Neubau auf die technische Ausstattung entfällt und nicht mehr wie früher auf die eigentliche Gebäudehülle. Vier Prozent lineare Abschreibung sind keine unbegründete Subventionierung, sondern eine konsequente Anpassung an diese Entwicklung.

Die EU-Gebäuderichtlinie fordert ab 2021, also bereits in sechs Jahren, den „Nahe-Null“-Energiestandard auch für private Wohnungen. Wie beurteilen Sie eine solche Zukunft des Bauens?

Viele Experten meinen, dass Deutschland im Zuge der EnEV 2014 und den verschärften energetischen Anforderungen ab dem 1. Januar 2016 bereits jetzt den „Nahe-Null“-Energiestandard erreicht habe. Man muss erkennen, dass jede weitere Verschärfung der Anforderungen über die EnEV 2014 hinaus überproportionale Kosten nach sich ziehen und damit das Bauen erneut wesentlich verteuern wird. Ein Return-on-Invest ist angesichts der Energiepreisentwicklung für die privaten Häuslebauer nicht zu erzielen. Wenn die Bundesregierung aber weitere höhere Standards möchte, ist sie aufgefordert, dieses entsprechend auch zu fördern.

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