BG BAU-Vorstandsvorsitzender Schumacher: „Das Bewusstsein für Sicherheit in den Betrieben muss noch besser werden“

Carl-Ludwig Schumacher ist Vorstandsvorsitzender der BG BAU und war Präsident des BVN. Mit ihm sprach DIE BAUSTELLE über aktuelle Fragen des Arbeitsschutzes. Viel diskutiert sind derzeit Fragen der psychischen Belastung am Arbeitsplatz.

BG BAU-Vorstandsvorsitzender Carl-Ludwig Schumacher

Nach ersten Untersuchungen der BG BAU sind entsprechende Krankheitsbilder – Medien sprechen auch vom Burnout – am Bau weniger ausgeprägt als in anderen Branchen. Unter Berufung auf aktuelle Zahlen der BG BAU berichtete Schumacher in dem Gespräch über einen Rückgang der Arbeitsunfälle. Die Bauwirtschaft sei hier auf dem richtigen Weg, stehe allerdings immer noch an der Spitze der Gefährdungen. Jüngste Berichte über eine Häufung von Montagsunfällen in anderen Branchen bestätigte er für die Bauwirtschaft nicht. In den Vorjahren verzeichnete die BG BAU an anderen Wochentagen höhere Zahlen.

Das Thema „psychische Belastungen bei der Arbeit" wird verstärkt – auch in der Politik – diskutiert. Gewinnt es auch bei der BG BAU an Bedeutung?

Sie haben Recht, das Thema psychische Belastung durch Arbeit ist auch in der Bauwirtschaft aktuell geworden. Aufgabe unserer BG ist es, alle arbeitsbedingten Krankheiten zu bewerten und zu entscheiden, ob für die betroffenen bei uns versicherten Personen Leistungen der BG BAU erbracht werden müssen. Arbeitsbedingte psychische Belastungen gehören zu einem verhältnismäßig neuen Krankheitsbild, für das es noch wenige Erfahrungen gibt. Erste Untersuchungen zeigen, dass im Vergleich zu Arbeitsplätzen anderer Branchen die Arbeitsplätze auf dem Bau relativ weniger anfällig für psychische Belastungen sind. Vielleicht kennen Sie es selbst. Wenn sie einmal richtig „down" sind und strengen sich körperlich an, dann geht es Ihnen wieder besser. Und körperliche Arbeit und Anstrengung ist nun einmal typisch für den Bau. Aber natürlich zeigen Stress und Termindruck auch ihre Folgen bei manchen unserer Beschäftigten. Gerade bei Geschäftsführern und anderen Vorgesetzten gibt es ein hohes Arbeitspensum und manchmal geringen Handlungsspielraum. Zusammen mit einer Situation von starkem Wettbewerb kann das zu psychischen Spannungen führen. In solchen Fällen unterstützen wir unsere Unternehmen bei der Gefährdungsbeurteilung. Unsere Aufsichtspersonen beraten zusätzlich die Betriebe.

Thema Gefährdungsbeurteilung: Ist aus Ihrer Sicht bei den Betrieben bereits verankert, dass Arbeitsschutz und Gefährdungsbeurteilungen „Chefsache" sind?

Die Gefährdungsbeurteilung begleitet uns die letzten Jahre und sollte 20 Jahre nach ihrer Einführung für jeden guten und verantwortungsvollen Unternehmer selbstverständlich sein. Im Unterschied zu früher, als es sicherlich auch eine Beurteilung der Gefährdung der Mitarbeiter gab, ist diese Gefährdungsbeurteilung heute formalisiert. Viele Betriebe nutzen das, um ihre Arbeitsabläufe auch hinsichtlich der Arbeitssicherheit zu beurteilen. Bei den guten Betrieben kümmert sich darum auch der Chef. Und bei den ganz großen Betrieben lässt der Chef das durch qualifizierte Mitarbeiter machen. In der Praxis gibt es leider oft noch Defizite. Doch ich habe den Eindruck, dass hier die Akzeptanz fortschreitet und Gefährdungsbeurteilungen zunehmend vorgenommen werden. Unser Ziel ist es, dass die Gefährdungsbeurteilung nicht als bürokratischer Zwang, sondern als betriebliches Selbstverständnis und echte Chance für das Unternehmen wahrgenommen wird. Die damit erreichte Rechtssicherheit ist ein positiver Nebeneffekt.

Wie hat sich die Zahl der Arbeitsunfälle im Baugewerbe in den vergangenen Jahren entwickelt – und was ist verantwortlich für diese Entwicklung?

2015 registrierte die BG BAU gut 55 meldepflichtige Arbeitsunfälle pro 1.000 Vollbeschäftigte, 17 Prozent weniger als 2005 und 39 Prozent weniger als im Jahr 2000. Gründe für den Rückgang sind zum Beispiel die bessere Technisierung der Baustelle, etwa die Fortschritte im Bereich der Maschinensicherheit. Außerdem haben sich die Arbeitsschutzbestimmungen weiterentwickelt. Trotzdem stehen wir im Vergleich zu anderen Branchen immer noch an der Spitze der Gefährdungen. So registrierte die BG Rohstoffe und chemische Industrie 2015 nur etwa 18 meldepflichtige Arbeitsunfälle pro 1.000 Vollbeschäftigte. Das heißt, in der Bauwirtschaft sind wir zwar auf dem richtigen Weg, aber die Verbesserungen finden hier zu langsam statt. Deshalb möchte die BG BAU die betriebliche Beratung und Aufsichtstätigkeit noch verstärken. Die Unfallschwerpunkte Absturz, Leitern, fehlerhafte Gerüste, Staubbelastung und ähnliches müssen durch intensive, manchmal auch unangenehme Kontrollen verringert werden. Und auch das Bewusstsein für Sicherheit und Prävention in den Betrieben muss noch besser werden.

Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) meldet seit Jahren, dass die Zahl der Arbeitsunfälle montags besonders hoch sei. Gibt es das Phänomen auch im Baubereich und wenn ja, wie erklären Sie sich das?

Für das Jahr 2015 registrierte auch die BG BAU die meisten Arbeitsunfälle an Montagen, ähnlich wie die BGW. Allerdings gilt dieses „Montags-Phänomen" in der Übersicht mehrerer Jahre für die Versicherten bei der BG BAU nicht durchgehend. Im Jahr 2014 haben wir nicht montags, sondern dienstags die meisten Arbeits- und Wegeunfälle registriert, gefolgt vom Mittwoch. Und im Jahr 2013 gab es donnerstags die meisten Wege- und Arbeitsunfälle, ebenfalls gefolgt vom Mittwoch. Das Phänomen existiert für uns in dieser Deutlichkeit also nicht.

Was tut die BG BAU, um Missbrauch vorzubeugen?

Die BG prüft die Unfallanzeigen und die Aussagen der Verletzten und eventueller Zeugen. Danach entscheidet sie nach Recht und Gesetz. Vorbeugend können wir Unternehmer nur darauf hinweisen, dass ein Missbrauch der Solidargemeinschaft ein unanständiges und rechtswidriges Verhalten ist. Dies gilt natürlich für alle Sachverhalte, die im Verhältnis von Unternehmen und Versicherten zu ihrer BG vorkommen. Wird ein Missbrauch nachgewiesen, fordern wir die erbrachten Leistungen konsequent zurück und leiten rechtliche Schritte ein. Ein gutes Mittel, um Missbräuchen vorzubeugen, ist eine gute Informationskultur mit unseren Mitgliedsunternehmen sowie Auskünfte über die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls.

Betriebe, die besonders hohe Unfallkosten haben, laufen Gefahr, einen Beitragszuschlag zu erleiden. Wie kann man sie vor Missbrauch schützen? Und was können Arbeitgeber im Verdachtsfall tun?

Der Begriff „erleiden" gefällt mir im Zusammenhang mit dem Beitragszuschlag nicht. Das Leid erfährt der Mitarbeiter, der von einem Unfall betroffen ist. Das Unternehmen wird mit dem Beitragszuschlag in Form von Geld „belastet". Belastung ist der bessere Begriff.
Zur Sache selbst möchte ich zunächst einmal festhalten, dass eine hohe Unfallbelastung schon etwas mit der Präventionsarbeit im Betrieb, mit der Überwachung der Arbeiten durch Vorgesetzte und mit einer unangemessenen Risikobereitschaft der Mitarbeiter zu tun hat. Um die Betriebe zu motivieren, diese Präventionsarbeit ernst zu nehmen, kann es bei hoher Unfallbelastung zu einem Beitragszuschlag kommen. Dieser Zuschlag wird oft höher sein, als die unterlassene Prävention gekostet hätte. Ein Schutz vor Missbrauch liegt natürlich in einem engen Kontakt zu den eigenen Mitarbeitern, bei dem die Vorgesetzten den Mitarbeitern deutlich machen, dass ein Missbrauch die Gemeinschaft, der auch Sie angehören, belasten wird. Wenn ein Arbeitgeber den Verdacht auf einen Missbrauch hat, sollte er den Sachverhalt der BG mitteilen. Man wird der Sache nachgehen. Ein gutes Mittel für die Unternehmen, sich vor Missbrauch zu schützen, ist es auch, das Meldeverfahren festzulegen. Also den Weg, auf dem die Führungskräfte und betrieblichen Arbeitsschutzexperten über Unfälle informiert werden und wer Unfallanzeigen an die BG verschickt.

Im Dezember soll ein neuer Gefahrtarif für die gesamte BG BAU beschlossen werden. Welche Neuerungen beziehungsweise Veränderungen wird er bringen?

Einen neuen Gefahrtarif soll es ab 1. Januar 2018 geben. Hierfür finden vorher Beratungen in den Selbstverwaltungsorganen statt, die mit der Beschlussfassung des neuen Gefahrtarifs enden. An den Beratungen nehmen die Vertreter teil, die Sie als Unternehmer in die Gremien der BG BAU gewählt haben. Sie beschließen zu gegebener Zeit auch über einen eventuell geänderten Gefahrtarif. Sobald uns der Beschluss vorliegt, werden wir darüber informieren.

Der neue Gefahrtarif wird für bestimmte Gewerke Differenzierungen in den Beitragszahlungen bringen. Welche sind das? Wie erklären sich diese Unterschiede?

Grundlage für einen eventuellen neuen Gefahrtarif werden die statistischen Zahlen der Unfallbelastung verschiedener Gewerke und ihr Verhältnis untereinander sein. Die Regeln der Gesetzlichen Unfallversicherung sehen vor, dass die Gewerke, die sich mit ihrer Belastung zu weit vom Mittelwert einer Gewerkegruppe entfernen, aus dieser Gemeinschaft herausgenommen werden und einen eigenen Gefahrtarif bilden. Gewerbezweige mit vergleichsweise hoher Versicherungsfallbelastung sollen am Beitragsaufkommen in höherem Maße teilnehmen als Gewerbezweige mit einer vergleichsweise niedrigen Belastung mit Versicherungsfällen. Damit soll erreicht werden, dass die Gewerke, die sich intensiv um Präventionsarbeit bemühen, nicht diejenigen Unternehmen subventionieren, die ihre Präventionsarbeit zu lasch angehen. Im Blickpunkt stehen hier zurzeit die Zimmereibetriebe. Seit Jahren stehen diese in der Unfallstatistik ganz weit vorne. Trotz erkennbarer Anstrengungen der Innungen und Verbände ist eine nennenswerte Tendenz der Verbesserung noch nicht sichtbar. Nach den derzeitigen Zahlen wird sich für sie die Einstufung in eine höhere Gefahrklasse nicht vermeiden lassen.

Welche berufsgenossenschaftlichen Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?

Die große Herausforderung wird weiterhin die Verringerung der Unfallzahlen in unserer Branche sein. Meldungen über Todesfälle, gefährliche Arbeitsbedingungen, frühzeitigen Verschleiß und ähnliches werden es uns gerade in Zeiten des demografischen Wandels immer schwieriger machen, qualifizierten und motivierten Nachwuchs zu finden. Das Ansehen der Arbeit auf der Baustelle muss positiv besetzt sein. Das Thema Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit muss daher noch viel präsenter im Bewusstsein der Menschen verankert werden. Alle Beteiligten - vom Enkel bis zu den Großeltern - sollten sich ihrer eigenen Rolle und Verantwortung in diesem Prozess bewusst werden. Sicherheit und Gesundheit müssen zu einem Selbstverständnis für alle Lebensbereiche entwickelt werden. Ungeachtet gesetzlicher Pflichten gehören hierzu gleichermaßen Werte wie zum Beispiel Eigenverantwortung, Vorbildwirkung und die Verantwortung für andere. Deshalb appelliere ich an die Unternehmen: Betreiben Sie Prävention! Verbreiten Sie das Interesse für Prävention im eigenen Betrieb und bei Kollegen! Helfen Sie mit, die Unfallzahlen zu senken! So wie man als Eltern seinen Nachwuchs vor Gefährdungen bewahren möchte – jede Mutter macht sozusagen eine Gefährdungsbeurteilung, bevor sie ihre Kinder beim Kuchenbacken helfen lässt – sollten Unternehmen auch für Ihre Mitarbeiter handeln. Das sind wir unserer „Baufamilie" schuldig.

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