Ärgernis Außenstände: Warum lässt sich der Staat so viel Zeit mit dem Zahlen?

DIE BAUSTELLE sprach mit Volker Ulbricht, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Vereine Creditreform e.V., über das für viele Betriebe existenzielle Problem des Zahlungsverzuges im öffentlichen Sektor und suchte nach Antworten, welche Optionen Unternehmen in dieser Lage haben.

Grafik Volker Ulbricht, HGF des Verbandes der Vereine Creditreform e. V.

Die Zahlungsmoral der öffentlichen Hand ist wesentlich schlechter als die privater Auftraggeber. Aktuelle Umfragedaten des Verbandes der Vereine Creditreform e. V. belegen, dass rund jedes vierte Unternehmen im Bauhandwerk und Ausbauhandwerk bei öffentlichen Auftraggebern zwischen 30 und 90 Tagen warten muss, bis das Geld für in Rechnung gestellte geleistete Arbeit eintrifft. Das Creditreform-Panel wurde im Dezember 2015 und Januar 2016 durchgeführt. Branchenübergreifend nahmen daran 1.300 Unternehmen teil. Die Baubranche und das Ausbauhandwerk sind darin mit rund 820 Betrieben vertreten.

Die öffentliche Hand zahlt vielfach schleppend – und das ist gerade für die Baubranche existenzbedrohend, warnte Barbara Ettinger-Brinkmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, im Gespräch mit diesem Magazin. Können Sie dies aus Sicht von Creditreform bestätigen, Herr Ulbricht?

Unsere Daten belegen, dass die Insolvenzbetroffenheit von Baubetrieben die höchste aller Branchen ist. Das Zahlungsverhalten öffentlicher Auftraggeber trägt sicherlich dazu bei, dass Betriebe pleite- und Arbeitsplätze verlorengehen. Ein anderer Faktor ist die in Relation zu anderen Branchen geringere Eigenkapitalausstattung von Unternehmen der Baubranche.

Grafik Anzahl Insolvenzen je 1.000 Unternehmen

Im öffentlichen Sektor wartet jedes vierte Unternehmen aus Baubranche und Ausbauhandwerk zwischen 30 und 90 Tagen auf sein Geld. Dagegen begleichen neun von zehn Privatkunden Rechnungen innerhalb von 30 Tagen. Warum lässt sich der Staat so viel Zeit mit dem Zahlen?

Öffentliche Auftraggeber stellen einen hohen Anspruch an die sogenannte Prüffähigkeit der Abschlags- beziehungsweise Schlussrechnungen. Sie bauen hier hohe Hürden auf: Zur Prüffähigkeit von Amtswegen gehört nicht nur, dass eine Rechnung klar strukturiert ist; dazu zählt auch, dass formal korrekte Nachweise erbracht werden. Dies sind beispielsweise Mengenberechnungen, Zeichnungen und andere Belege bis hin zu Wiegekarten und Aufmaßskizzen. Nicht jede Rechnung geht im ersten Anlauf durch.

Grafik Zahlungsfrist der öffentlichen und privaten Kunden im Vergleich

Und was passiert dann?

Der Auftragnehmer schickt beispielsweise seine Abschlagsrechnung. Und drei Wochen danach erreicht ihn eine Nachricht der Verwaltung, die ihn darüber informiert, dass seine Rechnung nicht prüffähig sei. Das Bau- oder Handwerksunternehmen macht einen neuen Anlauf und sendet die vom Auftraggeber geforderten Angaben nach. Die gefühlte Wartezeit aufs Geld beläuft sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf drei Wochen. Formalrechtlich hat die Zahlungsfrist aber noch gar nicht begonnen, weil die erforderlichen Angaben aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers noch gar nicht vorliegen.

Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus? Diesen Unternehmen hilft es in dieser Lage ja auch nicht, dass die Bundesregierung 2014 in ihrem Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr eine Zahlungsfrist von 30 beziehungsweise höchstens 60 Tagen festgelegt hat.

Genauso ist es. Denn die gesetzlichen Zahlungsfristen beginnen eben erst zu laufen, wenn eine prüffähige Rechnung vorliegt.

Ihr Expertenrat an unsere Unternehmen: Was tun, damit diese Prüffähigkeit schnell vorliegt?

Unternehmen rate ich, bereits im Vorfeld enge Abstimmungen mit den öffentlichen Auftraggebern zu treffen. Idealerweise erarbeiten sie im Dialog mit ihren Ansprechpartnern im Rathaus oder bei anderen Behörden eine Checkliste, was im Amt zur erfolgreichen Rechnungsfreigabe benötigt wird. Ich empfehle Bauunternehmen und Handwerksbetrieben, Aufmaße und sonstige quantitative Grundlagen wie etwa Wiegekarten für die Rechnungsstellung für Abschlags-und Schlussrechnungen im Vorfeld vorgezogen durch den Auftraggeber prüfen und abzeichnen zu lassen. So sind diese Aufmaße bei Rechnungsstellung bereits akkordiert worden. Das vermeidet zeitraubende Auseinandersetzungen nach Rechnungsstellung. Darüber hinaus rufe ich alle Bauunternehmen und Handwerksbetriebe auf, häufig und frühzeitig Abschlagsrechnungen zu stellen. Viele Unternehmen machen das bereits. Doch vor allem kleinere Unternehmen tun sich schwer, weil Abschlagsrechnungen auch einen gewissen Verwaltungsaufwand darstellen.

Lässt sich ein solches Vorgehen ohne weiteres durchsetzen, wenn ein Bauunternehmen vor Ort beispielsweise nur einen oder zwei öffentliche Auftraggeber hat?

Sie sprechen ein wichtiges Problem an. Nicht wenige Betriebe stehen in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu ihren öffentlichen Auftraggebern und scheuen sich naturgemäß, diese zu verärgern. Das hindert sie auch daran, hier ein energisches Forderungsmanagement zu betreiben. Ein weiterer wichtiger Punkt: Bürokratische Abläufe in den Kommunen sorgen für Verzögerungen. Rechnungen gehen von Hand zu Hand, sind von verschiedenen Ebenen abzuzeichnen. Wenn da jemand vom Amt wegen Krankheit oder Personalknappheit ausfällt, bleiben offene Forderungen liegen, und die Dinge verschleppen sich. Gerade in diesem Bereich sind in den Kommunen aber keine Personalaufstockungen zu erwarten, obwohl dies mit Blick auf die Sicherheit der Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft und im Handwerk natürlich wünschenswert wäre. Deshalb ist es umso wichtiger, dass der Auftraggeber alles dafür tut, die Prüffähigkeit seiner Rechnungen soweit möglich sicherzustellen. Er muss seine Auftraggeber im Detail danach fragen, welche Belege er braucht. Man kann Aufmaße übrigens auch im Beisein des Auftraggebers machen und sich diese gleich abzeichnen lassen. Damit ist schon mal klar, dass hier ein gemeinsames Bild besteht.

Müsste die Politik aus Verantwortung für die Arbeitsplätze im Baugewerbe und Bauhandwerk gesetzlich nicht härter gegen säumige Zahler auch im öffentlichen Sektor vorgehen?

Eine solche gesetzliche Verschärfung wird es nicht geben, weil die öffentliche Hand ja nachweisen kann, dass sie sich bei den Zahlungsfristen nach Einreichung einer formell korrekten, prüffähigen Rechnung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegt. Zufriedenstellend ist dieser Zustand aus Sicht der Auftragnehmer natürlich nicht!

Große privatwirtschaftliche Auftraggeber haben auch ein professionelles Rechnungsmanagement. Wie kommt es, dass hier ihre aktuellen Zahlen zufolge nur 6,7 Prozent aller befragten Unternehmen aus Bauhandwerk und Ausbauhandwerk länger als 30 Tage auf ihr Geld warten, während es im öffentlichen Sektor 25,4 Prozent sind?

Die Rechnungsprüfung ist im privaten Sektor offenbar weniger bürokratisch als im öffentlichen Sektor. Aber es spielt auch ein anderer Faktor eine wichtige Rolle. Die Zahlungskultur im öffentlichen Sektor ist sowohl bei der Ausgaben- als auch bei der Einnahmenseite wesentlich schlechter als in der Privatwirtschaft. Die Kommunen zahlen langsam, aber sie sind auch nicht gut in der Realisierung eigener Forderungen. An der Geschwindigkeit, mit der man eigene Forderungen einzieht, richtet sich auch das Tempo aus, in dem man eigene Verbindlichkeiten begleichen kann. Das kann man auch im Baugewerbe gut erkennen.

Unternehmen der Baubranche bekommen ihr Geld tendenziell spät. Sie warten im Schnitt also 45,38 Tage auf ihr Geld. In diesem Betrag steckt die gesetzliche Frist von 30 Tagen plus 15,83 Tage Verzug. Das ist wie bei einem System der kommunizierenden Röhren: Wer als Leistungserbringer seine Rechnungen nicht zeitgerecht eintreibt, der tut sich auch schwer, seine Vorlieferanten zu bezahlen. Der Druck wird auf diese Weise weitergereicht.

Haben die Zahlungsverzögerungen etwas mit der allgemein schwierigen Finanzlage der Kommunen zu tun?

Debitorisches Verhalten und kreditorisches Verhalten haben immer etwas miteinander zu tun. Ich glaube nicht, dass die Zahlungsverzögerungen bei öffentlichen Auftraggebern bewusst und gewollt sind. Aber sie sind Teil einer Kultur, die nicht gut ist. Bundesweit gehen wir davon aus, dass die Kommunen rund 20 Mrd. Euro offener Forderungen vor sich herschieben. Eine Ursache: Sie haben aufgrund von Personalknappheit immer weniger eigene Vollstreckungskräfte. Viele Landkommunen haben gar keine mehr. Gleichzeitig ist die Bereitschaft der Kommunen, mit Inkassounternehmen zusammenzuarbeiten, noch wenig ausgeprägt. Zudem ist die interkommunale Zusammenarbeit zu schwach, sodass sich Menschen in vielen Fällen durch einfachen Umzug fälligen Zahlungen entziehen können.

Würden Sie einem Bauunternehmen gleichfalls den Gang zu einem Inkassounternehmen empfehlen?

Nein, den Gang zu einem Inkassounternehmen empfehle ich bei öffentlichen Auftraggebern nicht, denn viele Unternehmen erwirtschaften einen großen Teil ihres Umsatzes im öffentlichen Sektor, und die Abhängigkeit ist damit hoch. Ein weiteres Problem ist, dass Inkassomaßnahmen im privatwirtschaftlichen Sektor vor allem dadurch wirken, dass ein privater Schuldner in einem solchen Fall befürchten muss, dass sich seine Bonität verschlechtert. Das ist bei der öffentlichen Hand kein Kriterium, denn die Zahlungsfähigkeit besteht bei ihnen ja. Handwerks- und Bauunternehmen, die diesen Weg beschreiten würden, riskieren zudem, bei künftigen Aufträgen nicht mehr berücksichtigt zu werden.

Vor diesem Hintergrund muss man ja feststellen, dass das 2014 eingeführte Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr hier allenfalls eine Placebowirkung entfaltet...

Das stimmt leider! Die darin aufgeführten Fristen stehen übrigens im Wesentlichen bereits so in der VOB. Für die Schlussrechnung gelten 60 Tage. Dies wird überwiegend eingehalten. Weitere gesetzliche Verschärfungen sind nicht zu erwarten. 60 Tage Zahlungsfrist können im Übrigen bei komplexen Vorhaben durchaus angemessen sein. Ich rate, frühzeitig möglichst viele Abschlagsrechnungen zu stellen. Das hält den Fall auch übersichtlich, weil die Losgrößen damit überschaubar sind.

Wolfgang Spitz, Präsident des Verbandes Deutscher Inkassounternehmen, weist darauf hin, dass die öffentliche Hand als Zahler ja eigentlich eine Vorbildfunktion hat.

Er weist zu Recht darauf hin. Die öffentliche Hand erweist sich weder als Zahlerin noch beim Eintreiben ihrer Forderungen als vorbildhaft. Das sind zwei Seiten einer Münze. Wer seine Forderungen nicht eintreibt, ist auch kein guter Zahler. Die meisten Einrichtungen im kommunalen Sektor befinden sich in dieser Hinsicht in einem kläglichen Zustand.

Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, hat im Gespräch mit dem Baugewerbe-Verband Niedersachsen angeregt, dass sich Kommunen bei der Abwicklung von Zahlungen von privaten  Bauexperten entlasten lassen sollten. Rufen Sie die Kommunen dazu auf, dies auch beim Inkasso zu tun?

Wünschenswert wäre dies. Doch viele Kommunen tun sich schwer damit. Ursache dafür sind auch Ängste vor Personalabbau. Ohne Grund führt man auch Datenschutz-Argumente dagegen an.

Finale Frage: Nicht alle Bau- und Handwerksbetriebe sind Freunde von Creditreform. Ein Beispiel: Wegen Bonitätsproblemen können Tankkarten verweigert werden.

Wenn ein Unternehmen sich nicht angemessen bewertet fühlt, kann es Einblick nehmen in unsere Daten und seine Gegenvorstellung äußern. Und sollten unsere Daten beispielsweise veraltet sein, so kann dieses Unternehmen die Sperrung dieser Daten verlangen. Es liegt durchaus auch in unserem Interesse, eine qualitativ gute Datenbank zu haben. Insofern sind wir immer daran interessiert zu hören, was der Betroffene vorbringt. Daraus wird dem Unternehmen kein Problem entstehen. Es sei denn, die Lage ist eindeutig. Dann bleiben wir dabei, diese Situation entsprechend zu kommunizieren. Wir wollen schließlich eine qualitativ gute Informationsleistung erbringen.

Woher stammen Ihre Daten?

Wir sind der Marktführer im B2B-Inkasso. Dadurch generieren wir eine große Zahl von Zahlungserfahrungen. Es fließt in unsere Datenbank ein, wie Schuldner auf Mahnungen reagieren und wie sie zahlen. In erheblichem Umfang haben wir auch Daten aus Zahlungserfahrungen unserer Mitglieder. Viele unserer 125.000 Mitglieder stellen uns ihre Zahlungserfahrungen zur Verfügung. Wir können daran sehr genau erkennen, wie sich das aktuelle Zahlungsverhalten eines Unternehmens darstellt. Beispielhaft nenne ich den kürzlich durch die Medien gegangenen Fall German Pellets. Wir konnten hier sehr exakt sagen, dass German Pellets irgendwann einmal begonnen hat, seine Lieferanten nicht mehr ordnungsgemäß zu bezahlen. Diese Aussage ergab sich aus proprietären Daten, die uns selbst vorlagen. Darüber hinaus speisen wir unsere Datenbank auch aus öffentlichen Daten. Es gibt beispielsweise Schuldnerverzeichnisse. Hier sind alle die Fälle eingetragen, wo Gerichtsvollzieher eine Zwangsvollstreckung nicht durchführen konnten. Schließlich werten wir rund eine Mio. öffentliche Jahresabschlüsse aus. Viele Unternehmen, auch kleine GmbHs, überlassen uns freiwillig ihre Gewinn- und Verlustrechnungen und sonstige nicht publizitätspflichtige Unterlagen. Damit haben wir auch Material und Daten zur Verfügung, die nicht öffentlich sind.

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