Christoph Dorn: „Europäische Normen sollten sich auf Bauprodukte beschränken“

Christoph Dorn ist Gruppengeschäftsführer der Knauf-Gruppe Deutschland/Schweiz, einem familiengeführten Unternehmen mit 26.500 Mitarbeitern in 220 Produktionsstandorten in mehr als 80 Ländern. DIE BAUSTELLE sprach mit ihm über neue Beschäftigungschancen im Baugewerbe sowie Zukunfts-Trends und die wachsende Normungsflut am Bau.

Christoph Dorn

Dorn vertritt den Standpunkt, dass sich europäische Normungen auf Bauprodukte beschränken sollten. Denn nur hier seien Regulierungen für einen funktionierenden Europäischen Binnenmarkt erforderlich.

Herr Dorn, wo sehen Sie Beschäftigungs- und Wachstumschancen für das mittelständische Baugewerbe?

Vor allem der Wohnungsneubau wird ein Beschäftigungswachstum generieren. Der Neubau von Wohnungen nimmt seit seinem Tiefstand im Jahr 2009 stetig zu. Nachdem wir noch zu Jahresbeginn mit einem Neubaubedarf von rund 270.000 Wohnungen gerechnet haben, zeigt sich heute, dass wir wahrscheinlich 350.000 bis 400.000 Wohneinheiten pro Jahr bauen müssen, um die Nachfrage zu decken.

Dies ist natürlich zum einen der Flüchtlingsproblematik geschuldet, andererseits haben wir jedoch seit 2010 eine ansteigende Zuwanderung, die in früheren Prognosen so nicht erwartet wurde.

Interessant ist weiterhin die steigende Nachfrage in den sogenannten Schwarmstädten, die durch ihre Attraktivität und zum Beispiel Universitäten junge Leute anziehen.

Ein weiterer Aspekt ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten. Hier werden sich die Rahmenbedingungen verändern, wie zum Beispiel die Förderung von sozialem Wohnungsbau.

Wir brauchen hier schnell neuen Wohnraum. Sind vor diesem Hintergrund die energetischen Anforderungen an Neubauten zu hoch, und welche Rolle spielt der Bestand?

Der Großteil der Bauinvestitionen im Wohnungsbau fließt in den Bestand und nicht in den Neubau. Bezüglich der Klimaziele der Bundesregierung gilt es zu bedenken, dass rund 250.000 Wohneinheiten, die momentan pro Jahr neu errichtet werden, einen verschwindend geringen Anteil am Gesamtbestand von rund 40 Mio. Wohneinheiten bilden. Unabhängig vom Energiestandard werden nur etwa 0,6 Prozent des Gesamtbestandes pro Jahr auf den neuesten energetischen Stand gebracht.

Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir die Bestandsgebäude betrachten. 75 Prozent der Bestandsbauten wurden vor 1985 gebaut, und ein Großteil dieser Gebäude entspricht nicht mehr den energetischen Anforderungen.

Da die Sanierungsquote immer noch viel zu gering ist, müssen hier Anreize insbesondere für Privathaushalte geschaffen werden. Die energetische Sanierung unserer Bestände wird somit weiterhin ein wichtiges Thema bleiben.

Lassen Sie uns über Gewerke der Zukunft sprechen. Die in Deutschland bevorzugte Bauweise war der Massivbau. Wird das auch in Zukunft so bleiben? Und welche Herausforderungen kommen auf das Bauhandwerk zu?

Die Bauweise in Deutschland ist heute oftmals konventionell geprägt. Aufgrund der geforderten Flexibilität und zum Beispiel der einfachen Möglichkeit von späteren Umnutzungen wird der Leichtbau in Deutschland zunehmen. Wir sehen diese Entwicklung momentan im Wohnungsneubau, wo der Anteil an Innenwänden im Trockenbau zunimmt. Durch die gestiegenen Anforderungen, zum Beispiel im Brand- und Schallschutz, wird es unsere Aufgabe sein, unsere Handwerker noch besser auszubilden und die Handwerksberufe aufgrund des Fachkräftemangels und der steigenden Nachfrage attraktiv zu gestalten.

Eine wesentliche Rolle wird in Zukunft auch die Nachhaltigkeit von Gebäuden spielen. Dies sieht man an der Zunahme von Holzbauten sowohl im Mehrfamilienhausbau als auch im klassischen Einfamilienhausbau. Bei den Fassaden sehen wir eine zunehmend kritische Haltung gegenüber Wärmedämmverbundsystemen mit Polystyrol.

In Verbindung mit dem Brandschutz wird die Nachfrage nach Mineralwolle steigen. Eine große Chance sehen wir auch für Leichtbaufassaden zum Beispiel aus Holz, die in Fabriken vorgefertigt und in kürzester Bauzeit vor Ort montiert werden können.

Ein Dauerärgernis auch für Prüfingenieure selbst ist die wachsende Normungsflut durch Eurocodes aus Brüssel. Wie stellt sich die Situation aus Sicht eines Baustoffherstellers dar?

Grundsätzlich ist nichts gegen europäische Normen einzuwenden. Die europäischen Länder haben sich für ein gemeinsames Europa mit gemeinsamen Regeln entschlossen. Das Problem aber ist tatsächlich die Flut, die durch hinzukommende deutsche Regelungen verstärkt wird. Für einen Baustoffhersteller alleine wäre das noch beherrschbar; für Planer, Fachunternehmer und Bauherren wird das Bauen aber immer schwieriger.

Muss sich das deutsche Baugewerbe noch stärker in den europäischen Normungsprozess einbringen?

Dorn: Für das Baugewerbe kann ich das nicht beurteilen. Die Bauindustrie ist ausreichend im europäischen Normungsprozess vertreten. Die deutsche Bauaufsicht müsste aber deutlich stärker im europäischen Normungsprozess mitarbeiten, um die bauaufsichtlichen Belange gleich in den europäischen Normen mit umzusetzen. Das war genau das Problem beim Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH).

Was kann getan werden, um die Regulierung aus Europa auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen?

Die Mandate für Normungsprojekte müssten restriktiver erteilt werden, um nutzlose Normungsaktivitäten von vornherein zu vermeiden. Europäische Normen sollten sich auf Bauprodukte beschränken. Nur das ist für einen funktionierenden Binnenmarkt notwendig.

Sehen Sie den Fortbestand der Bauregelliste vor dem Hintergrund des bereits angesprochenen EuGH-Urteils?

Vom Deutschen Institut für Bautechnik werden die Bauregellisten A, B und C herausgegeben. Das EuGH-Urteil betrifft „nur“ die Bauregelliste B, in der zusätzliche Anforderungen an Bauprodukte gestellt werden, die bereits durch harmonisierte europäische Normen geregelt sind. Vom Gericht wurde festgestellt, dass diese sogenannten „Nachregelungen“ nicht mit europäischem Recht vereinbar sind.

Im Maßnahmenkatalog des Bundesbauministeriums gibt es hier bereits eine klare Ansage, dass die Bauregelliste B Teil eins und sonstige Zusatzanforderungen an harmonisierte Bauprodukte in anderen Regelwerken bis zum 15. Oktober 2016 aufgehoben werden.

Nach dem aktuellen Entwurf der Musterbauordnung (MBO) ist davon auszugehen, dass die „Technische Baubestimmungen“ als Verwaltungsvorschrift erlassen werden. Darin gehen sowohl die Liste der technischen Baubestimmungen als auch die Bauregellisten auf. 

Welche Alternativen zur Bauregelliste sind nach Ihrer Auffassung sinnvoll, ohne Qualitätsverluste für Baustoffe und Bauteile zu riskieren?

Nachdem es die Bauregelliste B Teil eins nicht mehr geben wird, müssen die aus deutscher Sicht vorhandenen Lücken in den europäisch harmonisierten Normen geschlossen werden. Im EuGH-Urteil werden dazu die in der Bauprodukteverordnung vorgesehenen Wege aufgezeigt. Das heißt, die europäisch harmonisierten Normen müssen entsprechende Leistungsklassen enthalten, die die deutschen Anforderungen abdecken. Über die CE-Kennzeichnung und die Leistungserklärung sollte dann die Qualität definiert sein. Wir haben dazu unsere Hilfe, die uns betreffenden europäischen Normen anzupassen, bereits angeboten.

Die technischen Regeln der Bauregelliste A werden, wie bereits oben beschrieben, als Verwaltungsvorschrift „Technische Baubestimmungen“ erlassen werden.  

Ist die Normungsflut, insbesondere der EU-Normung und der schnelle Überarbeitungszyklus der Normen auch für Hersteller problematisch?

Einige europäische Normen, wie zum Beispiel Prüfprozeduren für Gipsplatten, vereinfachen auch die Arbeit eines Baustoffherstellers, wenn zum Beispiel in allen europäischen Ländern gleich geprüft wird. Unübersichtlich wird es, wenn europäische und deutsche Normen für den gleichen Sachverhalt parallel laufen.

Momentan beschäftigen uns aber am meisten die deutsche Regelungsflut und die deutschen Regelungsänderungen. Nachdem uns mehrere Jahre die Änderung der abP-Praxis beschäftigt hat, kommen diese im Entwurf der neuen MBO für Bauarten gar nicht mehr vor. Die abPs sollen durch Bauartgenehmigungen ersetzt werden. 

Die Menschen werden schon aus demografischen Gründen länger im Arbeitsleben bleiben müssen. Was tut Knauf aktiv bei der Gestaltung ihrer Arbeitsmaterialien, um dem Gesundheitsschutz für die Beschäftigten im Baugewerbe gerecht zu werden?

Bei allen Produktentwicklungen von Knauf werden Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit berücksichtigt. Manche Produkte, wie zum Beispiel Fließestrich oder Leichtputze zielen direkt auf Arbeitserleichterung des Fachunternehmers ab. Andere Beispiele wären: Minimierung der Staubentwicklung bei Pulverprodukten oder Umstellung von bauchemischen Produkten auf Wasserbasis. Containerlogistik minimiert die körperliche Beanspruchung und die Staubentwicklung. Dazu kommen zum Beispiel verletzungssichere Stahlprodukte, wie Profile und Stanzteile. Die Gewichte der Bauprodukte, wie Säcke oder Platten, werden leichter werden. Produkte werden in der Verarbeitung noch einfacher werden.

In einem Positionspapier der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes zum Arbeits- und Gesundheitsschutz wird gefordert, die Begrenzung des zulässigen Sachgewichts für Normzemente auf 25 kg auch „auf andere Baustoffe, die als Sackware Verwendung finden“, zu erstrecken – zum Beispiel Putz, Estrich und Mörtel. Wie stehen Sie als Hersteller zu dieser Forderung?

Knauf-Pulverprodukte werden je nach Marktanforderung bereits in 40 kg, 30 kg, 25 kg und 20 kg Säcken ausgeliefert. Mengenintensive Produkte werden aktiv vom Markt in 40 kg Säcken gewünscht, um zum Beispiel die Abfallmenge an Baustellen zu minimieren. Eine allgemeine Begrenzung des Sackgewichtes auf 25 kg würde für Knauf kein Problem darstellen. Konkrete Marktanforderungen diesbezüglich setzen wir einfach um.

Registrierte Mitglieder erhalten Zugriff auf detaillierte Informationen und Dokumente.

Eingeloggt bleiben

Als registriertes Mitglied des BVN stehen Ihnen weitere Informationen und Downloads zur Verfügung.