Sozialpädagogen an den Schulen müssen Jugendliche auf die Berufsausbildung vorbereiten

Dipl.-Ing. Rainer Lorenz steht seit 2001 als Präsident an der Spitze des BVN. Seit November 2012 vertritt Lorenz die Interessen des niedersächsischen Baugewerbes als Vorstandsmitglied des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe (ZDB) auch auf Bundesebene in Berlin.

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Er ist in vierter Generation Chef der Lorenz Bauunternehmen GmbH in Hannover. In diesem Interview für DIE BAUSTELLE äußert er sich zur wachsenden Bewerberknappheit für duale Ausbildungsgänge im Bauhandwerk und nimmt Stellung, wie das Baugewerbe und seine Unternehmen diese Herausforderung aktiv annehmen können. Zugleich fordert er mehr Unterstützung durch die Kultuspolitik.

 

Herr Lorenz, nach den Sommerferien wird eine neue Generation von Schulabgängern ihre Ausbildung im Baugewerbe beginnen. Nach einer aktuellen Umfrage des Niedersächsischen Industrie- und Handelskammertages kann fast ein Viertel aller Betriebe nicht mehr alle angebotenen Ausbildungsstellen besetzen. Oft wird in diesem Zusammenhang eine sinkende Qualität der Schulabgänger genannt. Ist das auch Ihr Erleben im betrieblichen Umfeld?

In den vergangenen Jahren war die Zahl der Bau-Lehrlinge in Niedersachsen und auch in unserem Betrieb relativ konstant. Es ist aber zu beobachten, dass sich zukünftig eine deutliche Verringerung derer, die in die Bauberufe möchten, ergeben wird. Das liegt natürlich zunächst daran, dass sich die Zahl der Haupt- und Realschüler in den kommenden Jahren verringern wird.

Ein weiterer Grund liegt in einer Veränderung des Ausbildungssystems. Während früher das erste Lehrjahr grundsätzlich in den Berufsschulen als Pflicht-BGJ absolviert wurde, liegt es heute in der Entscheidung der Jugendlichen, ob sie zunächst das freiwillige erste Ausbildungsjahr in der Fachschule Bau oder sofort im Betrieb absolvieren wollen. Und die meisten wollen gleich in die Firmen, zumal sie dann auch sofort eine Ausbildungsvergütung erhalten. Viele Firmen haben sich bislang darauf verlassen, aus dem BGJ ab dem zweiten Ausbildungsjahr die Lehrlinge „angeboten“ zu bekommen. Jetzt müssen sie sich bereits vorher um den Nachwuchs kümmern. Das erfordert ein Umdenken. Wer abwartet, erhält keinen Lehrling mehr – oder eben nur die, die noch übrig bleiben.

Und ja, die Berufseignung der Schulabgänger hat auch nachgelassen.

Wo konkret liegen denn die Defizite – und was müssten Kultuspolitik und Schulen anders beziehungsweise besser machen?

Nicht erst jetzt sind bei Hauptschulabgängern sehr häufig mangelnde Kenntnisse bereits in den Grundrechenarten und in der Rechtschreibung festzustellen. Hinzu kommen aber, und das ist leider auch bei Realschulabsolventen festzustellen, steigende soziale Defizite wie die Fähigkeit zur Teamarbeit oder grundsätzlich ein Bewusstsein für Verantwortung sowie die Bereitschaft zum Arbeiten an sich. Das sind aber Defizite, die bereits im Elternhaus begründet sind, und ich bin der Auffassung, dass wir nicht den Schulen die Verantwortung übertragen können, hier Versäumtes wieder aufzuholen.

Helfen könnte vielleicht, Schülerinnen und Schüler schon frühzeitig an den „Ernst des Lebens“, wie die berufliche Arbeit gegenüber dem Schulbesuch häufig angesehen wird, heranzuführen. Und hier wird schon einiges getan – in den Hauptschulen nach meiner Wahrnehmung noch mehr als in den Realschulen. Frühe Kontakte zu Unternehmen in Form von Betriebsbesichtigungen und Betriebspraktika sind hilfreich. Und obwohl es natürlich für die Schulen einfacher ist, an größere Unternehmen heranzutreten, die gleich ein ganzes Dutzend Praktikanten aufnehmen könnten, hielte ich gerade bei den Hauptschülern die Nähe zum Handwerk für unverzichtbar.

Weiter ist meines Erachtens der Einsatz von Sozialpädagogen in den Schulen zur Begleitung der Jugendlichen bei der Vorbereitung des Berufseinstieges heute unverzichtbar geworden. Über diese kann der Kontakt zu den Unternehmen oft auch besser hergestellt werden als über die Lehrer, die ja reichlich andere Aufgaben in den Schulen erledigen müssen.

Mein Petitum an die Kultusbehörden ist, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die genannten Maßnahmen optimal möglich werden.

Zur Erschließung zusätzlicher Bewerberpotentiale sind laut Umfragen manche Unternehmen auch bereit, schwächere Absolventen einzustellen und mit eigener Nachhilfe sowie ausbildungsbegleitenden Hilfen durch die Agentur für Arbeit zu unterstützen. Ist das aus Ihrer Sicht eine Option für das Baugewerbe? Auch Industriebetriebe wie z.B. Siemens beschäftigen sich mit Ausbildungsprogrammen für Schulabbrecher, die aus sozial schwierigen Schichten kommen und teilweise Migrationshintergrund haben. Ist das auch ein Thema für das kleinbetrieblich und mittelständisch organisierte Bauhandwerk?

Unsere Bauberufe erfordern eine dreijährige Ausbildung. Und die sind kein Kinderspiel. Häufig besteht der Eindruck, dass jemand, der weniger begabt sei, „dann eben zum Bau gehen“ könne. Das halte ich für grundsätzlich falsch! Wir benötigen qualifizierte Haupt- und Realschulabsolventen, um die immer technisierteren Bauabläufe erfolgreich umsetzen zu können.

Darüber hinaus sind wir uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und deshalb bereit, auch schwächeren Schulabgängern oder auch Abbrechern eine berufliche Chance zu geben. Wegen der geringen Größe unserer Betriebe – die durchschnittliche Betriebsgröße liegt bei weniger als zehn Mitarbeitern – kann das aber nicht in den Betrieben selbst stattfinden. Die Berufsschulen bieten die Möglichkeit der Berufsvorbereitung für solche Absolventen. Ich plädiere dabei für eine enge Anbindung an die Unternehmen über Praktika. Auch für unser Unternehmen haben wir auf diesem Wege junge Menschen gefunden, die engagiert waren. Das ist noch wichtiger als gute Zeugnisnoten. Und wer die Gesellenprüfung nicht ganz zu schaffen scheint, kann auch schon nach dem zweiten Ausbildungsjahr einen vom Anspruch her reduzierteren Abschluss machen. Wir im Unternehmen regen zum Beispiel an, zunächst diese Prüfung zu absolvieren und erst dann, wenn sie bestanden wurde, nach einem weiteren Ausbildungsjahr die Gesellenprüfung anzuschließen. 

Lassen Sie mich aber bitte mit einem vielleicht vorhandenen Vorurteil aufräumen. Ich nehme dazu noch einmal unser Unternehmen als Beispiel. Von unseren gewerblichen Mitarbeitern haben mehr als die Hälfte einen Migrationshintergrund. Unter ihnen befinden sich die besten Facharbeiter unseres Unternehmens. Aus dieser Gruppe hat sich auch einer unserer Bauleiter entwickelt. Gerade von ihm fühlen sich viele Praktikanten und Lehrlinge mit Migrationshintergrund verstanden. Neben einer möglichst frühen Kontaktaufnahme zu den Schulen erscheint mir dies ein wesentlicher Grund für eine erfolgreiche Integration in unser Unternehmen und darüber hinaus in die Gesellschaft zu sein.

Nach jüngsten Veröffentlichungen ist die Zahl der Studienabbrecher an Universitäten gestiegen. Vor diesem Hintergrund die Frage: Welche Laufbahn-Optionen bietet das Baugewerbe Abiturienten beziehungsweise Studienabbrechern?

Wir erleben es immer wieder, dass Abiturienten nach Alternativen zu den stark theoretischen Berufen suchen, die üblich sind. Hier kann das Bauhandwerk andere Möglichkeiten anbieten. Insbesondere mittelständische Unternehmen suchen Mitarbeiter für die mittlere Führungsebene, zum Beispiel Techniker oder Meister. Vorgeschaltet ist eine Ausbildung zum Facharbeiter, die bei Abiturienten um ein Jahr verkürzt werden kann.

Mit Blick auf den zunehmenden Fachkräftemangel gewinnt der Begriff der „Arbeitgebermarke“ an Bedeutung. Welche Vorteile kann und sollte das Baugewerbe auf der Suche nach Bewerbern herausstellen? Und wie könnte dies umgesetzt werden?

Schon mein Vater hat gesagt: „Gebaut wird immer!“ Hinzu kommt, dass alle Bauberufe abwechslungsreich und alles andere als eintönig sind und im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Tätigkeiten gut bezahlt werden. In zahlreichen Flyern, Broschüren und auch Filmen wird dies gezeigt. Es liegt in den Händen der Innungen und Verbände, diese Informationen sinnvoll zu streuen. Auch die Berichterstattung über handwerkliche Europa- beziehungsweise Weltmeisterschaften, die Euro- oder World-Skills, zeigt, wie spannend das Bauhandwerk sein kann. Zusätzlich wird es immer wichtiger, dass auch die Unternehmen selbst in die Schulen gehen, von den Möglichkeiten für Schülerinnen und Schüler in ihren Unternehmen berichten und entsprechende Praktika anbieten.

Sie selbst gehen auch schon sehr frühzeitig in die Schulen und kümmern sich in Ihrem Unternehmen bereits um Praktikanten aus den 7. Klassen. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?

Wir fangen sogar noch früher an. In dem Stadtteil, in dem unser Unternehmen zu Hause ist, bieten wir gemeinsam mit anderen Handwerksunternehmen und dem hier ansässigen Kulturverein Jungen und Mädchen aus den Horten erste „Berufserfahrungen“ an. In einem „Circle-Training“ dürfen alle reihum verschiedene Handwerkstechniken ausprobieren.

Weiter nehme ich teil am sogenannten Mentorenprogramm der hiesigen Handwerkskammer. Unternehmer und Ausbilder verschiedener Handwerksberufe gehen in die Haupt- und Realschulen, bieten Hilfe beim Bewerbungstrainig an, veranstalten Speed-Datings und laden selbstverständlich auch ein zu Praktika. Wir hatten kürzlich fünf Jungen aus einer 7. Klasse zu einem Drei-Tage-Schnupperpraktikum bei uns. Einer von ihnen hat uns so begeistert, dass wir ihm eine Lehrstelle nach Beendigung der Schulzeit angeboten haben.

Noch einmal zurück zum Thema „Arbeitgebermarke“: Sie „belohnen“ junge Mitarbeiter oder Lehrlinge auf ungewöhnliche Weise, zum Beispiel dadurch, dass sie den Führerschein mitfinanzieren. Wäre das ein Modell auch für andere Unternehmen?

Wir geben bei den Ausbildungsleistungen entsprechende Zuschüsse zum Führerschein dazu. Das gehört alles zu dem großen Paket, in dem insbesondere eine familienfreundliche Arbeitsumgebung eine große Rolle spielt. Dazu zählen zum Beispiel Arbeitszeiten, die Rücksicht auf Schule und Kita nehmen, die Ermunterung junger Väter, im Winter Erziehungsurlaub zu machen oder auch ein Sparbuch mit 500 € für jedes neugeborene Kind. Eine gute Stimmung unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist mehr wert als zum Beispiel eine übertarifliche Bezahlung. So etwas kann man nicht von heute auf morgen „installieren“, sondern es ist ein langer Weg dahin. Aber wenn wir heute nicht damit anfangen, wird es dann, wenn der Fachkräftemangel so richtig spürbar ist, zu spät sein.

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