Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer zum Nachwuchsproblem

Nachwuchsprobleme: Arbeitgeberpräsident Kramer empfiehlt Angebote für Studienabbrecher und fordert mehr Berufsorientierung an den Schulen.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer

Ingo Kramer, Chef des bremerhavener Anlagenbauers J. Heinr. Kramer, ist seit 2013 Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. In diesem Interview äußert er sich über Möglichkeiten, wie das Handwerk dem Nachwuchsmangel begegnen kann. Er fordert auch eine bessere Berufsorientierung in den Schulen, um spätere Ausbildungsabbrüche zu verhindern.

Duale Ausbildung und die wachsende Konkurrenz gymnasialer Laufbahnen sowie Studienangebote – wie kann und sollten Handwerk und Gewerbe mit diesem Dilemma umgehen?

In der Tat ist die Zahl der Studierenden in den letzten Jahren deutlich gestiegen und die der Ausbildungsanfänger leicht zurückgegangen. Von einer „Überakademisierung" kann aber keine Rede sein. Die Arbeitslosenquote von Hochschulabsolventen liegt seit vielen Jahren konstant bei etwa 2,5 Prozent, also im Bereich von Vollbeschäftigung. Dies zeigt: Die Unternehmen brauchen in wachsendem Maße Hochqualifizierte mit einem akademischen Abschluss.

Hier ist ein weiterer Punkt wichtig: Im Gegensatz zu den Auszubildenden, bei denen rund neun von zehn ihre Ausbildung erfolgreich abschließen, liegt die Abbrecherquote bei den Studierenden bei 28 Prozent. Effektiv stehen dem Arbeitsmarkt damit deutlich weniger Hochschulabsolventen zur Verfügung, als die Zahl der Studienanfänger vermuten lässt. Auch um diese jungen Menschen sollten sich Ausbildungsbetriebe verstärkt mit attraktiven Angeboten kümmern. Nichtsdestotrotz ist die zurückgehende Zahl von Ausbildungsanfängern und die steigende Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen Anlass zur Sorge.

Welche Empfehlungen haben Sie hier?

Es muss uns besser gelingen, die duale Berufsausbildung in alle Richtungen zu öffnen: für leistungsstarke, aber insbesondere auch für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler. Der Anteil der Ausbildungsanfänger mit Studienberechtigung ist seit 1995 von rund 15 auf 24 Prozent gestiegen – allerdings nicht in dem Maße, wie die Zahl der Studienberechtigten insgesamt gestiegen ist. Hier gibt es noch Rekrutierungspotenzial.

Für leistungsstarke Jugendliche sind Zusatzqualifikationen wie EDV-, Technik- und Fremdsprachenkenntnisse, die im Rahmen einer Ausbildung erworben werden, oder auch der parallele Erwerb von Hochschulreife und beruflichem Abschluss attraktive Optionen. Für leistungsschwächere Jugendliche eröffnen zweijährige Ausbildungsangebote mit weniger komplexen Anforderungen die Chance auf einen Berufsabschluss und den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Dies gilt vor allem für die rund 1,3 Mio. jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben. Ihre Zahl ist zwar gesunken, aber immer noch viel zu hoch für ein Land, das mit Fachkräfteengpässen und demografischem Wandel kämpft.

Qualität der Schulabgänger – was kann und sollte die Bildungspolitik tun, damit mehr für Handwerk und Gewerbe geeignete Bewerber die Schulen verlassen?

Die Politik muss mit langem Atem die Schulqualität verbessern. Die Schule darf nicht weiter Spielball ideologischer Grabenkämpfe sein, sondern braucht mehr Selbstständigkeit hinsichtlich Profilbildung, Personal- und Ressourceneinsatz. In den Schulen muss es besser als bisher gelingen, die Ausbildungsreife der Schülerinnen und Schüler sicherzustellen. Denn immer noch ist etwa jeder fünfte Jugendliche nicht ausbildungsreif und verlässt die Schule ohne das notwendige Rüstzeug. Die Konsequenz ist, dass Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben und teure „Reparaturmaßnahmen“ im Übergangssystem oder im Ausbildungsbetrieb nötig sind.

Darüber hinaus muss die Berufsorientierung an den Schulen verbessert werden. Denn sie bereitet den Übergang in die Ausbildungs- und Berufswelt vor und muss ein realistisches Bild des beruflichen Alltags vermitteln. Das verhindert spätere Abbrüche. Gerade auch in Schulen, die zur Hochschulreife führen, muss sowohl über das Studium als auch über die duale Berufsausbildung gleichberechtigt informiert werden.

Wenn Sie sich an junge Menschen wenden würden, welche Argumente würden Sie für das Ergreifen einer dualen Ausbildung anführen?

Die duale Berufsausbildung bietet hervorragende Beschäftigungsperspektiven und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten. Das Risiko von Arbeitslosigkeit ist für beruflich Qualifizierte weitaus niedriger als für Menschen ohne einen beruflichen Abschluss. Die berufliche Aufstiegsfortbildung erweitert die beruflichen Handlungskompetenzen und kann den Weg für einen weiteren Aufstieg ebnen. Und noch etwas: Auch wer sich selbstständig machen möchte, hat gerade im Handwerk dazu immer die größten Chancen. In den nächsten zehn Jahren suchen 200.000 Handwerksbetriebe in Deutschland einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin.

Was erwarten Sie auch mit Blick auf das Handwerk in den kommenden zwölf Monaten von dieser Bundesregierung, damit weiter Wachstum und Beschäftigung generiert werden können?

Die Bundesregierung muss das Investitionsumfeld verbessern. Deutschlands Investitionsquote liegt schon seit mehreren Jahren unter dem Durchschnitt der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Dies bedroht unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit Wohlstand und Arbeitsplätze. Damit der Mittelstand in die Zukunft investieren kann, muss die Politik für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen. Dazu gehören vor allem die nachhaltige Sicherung von Fachkräften, eine bezahlbare und zuverlässige Energieversorgung sowie eine Reduzierung der staatlichen Regulierungswut und Bürokratie. Die Unternehmen müssen darauf vertrauen können, nicht ständig neue Belastungen schultern zu müssen. Dies gilt auch angesichts der zunehmenden Unsicherheiten bei der Erbschaftsteuer für Unternehmensanteile. Zudem brauchen wir deutlich mehr öffentliche Investitionen. Die Haushaltsplanung der Bundesregierung setzt mit zusätzlichen Ausgaben für Bildung, Forschung und Infrastruktur richtige Impulse. Ich begrüße auch die Entlastung der Länder beim Bundesausbildungsförderungsgesetz. Es kommt nun darauf an, dass die Länder die freiwerdenden Mittel ihrerseits vollständig für Bildungsinvestitionen verwenden.

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