Interview: BdSt-Präsident Reiner Holznagel zu Investitionsstau, Baukostenüberschreitung und staatlichem Wettbewerb

"Schwarzbuch Steuerverschwendung" und "Schuldenuhr" sind bekannte Formate, mit denen der Bund der Steuerzahler (BdSt) staatliches Fehlverhalten anprangert. DIE BAUSTELLE hat BdSt-Präsident Reiner Holznagel zu Investitionsstau, Baukostenüberschreitung und staatlichem Wettbewerb befragt.

BdSt Präsident Reiner Holznagel

Der Staat braucht nicht mehr Geld für die Infrastruktur - er muss es nur richtig ausgeben!

Das Bundesverkehrsministerium sucht derzeit neue Einnahmequellen für die Infrastruktur. Es will die Gebührenpflicht auf weitere 1000 Kilometer Bundesstraße ausdehnen und die Lkw-Maut auch für kleine Transporter ab 7,5 Tonnen einführen. Das würde neue Belastungen auch für Unternehmen des Baugewerbes bringen. Auch ein neuer Soli ist im Gespräch. Braucht der Bund neue Einnahmen für die Infrastruktur?

Diese Frage lässt sich am besten mit Zahlen beantworten. In diesem Jahr wird sich das gesamtstaatliche Steueraufkommen auf rund 640 Mrd. Euro belaufen. Im Jahr 2017 werden es voraussichtlich 700 Mrd. sein, und im Jahr 2018 werden es 740 Mrd. sein - das ist ein Zuwachs von 100 Mrd. Euro! Die Einnahmen des Staates steigen in den nächsten Jahren stetig. Von daher: Nein, wenn der Staat seine Prioritäten endlich vernünftig setzt, braucht er keine zusätzlichen Einnahmequellen für die Infrastruktur! Er braucht keine Maut-Ausweitung, die neue Lasten für Unternehmen auch im Baugewerbe bringt, und er braucht auch keinen so genannten Soli für die Straßen.



Unabhängig davon haben wir einen Modernisierungsstau und - aus Sicht des Baugewerbes - auch einen Auftragsstau bei der Infrastruktursanierung. Was muss geschehen, damit mehr Geld in die marode Infrastruktur fließt?

Die Bereitstellung einer funktionsfähigen Infrastruktur ist eine ureigene Aufgabe des Staates. Diese hat er über seine Steuereinnahmen zu finanzieren. Die Steuerquellen sprudeln derzeit wie ausgeführt auf Rekordniveau! Wir fordern Bund, Länder und Kommunen auf, ihre Ausgabenprioritäten zu ändern und mehr Geld für den Erhalt unserer Straßen zu investieren. Real sind die Ausgaben des Staates zum Beispiel für den Bundesfernstraßenbau seit den 90er-Jahren gesunken. Wir haben definitiv Probleme und finanzielle Engpässe bei der Instandhaltung unserer Verkehrswege - das beginnt bei den Kommunen und endet bei den Autobahnen. Wir brauchen aber nicht nur mehr Geld, sondern auch ein anderes Denken.

 

Wie meinen Sie das?

Ein Großteil des Geldes fließt ja nicht in die eigentliche Bauausführung. Viel Steuergeld versickert im Planungs- und Bürokratiekostensumpf. Wir fordern hier ein Umsteuern. Die Politik muss einerseits die Investitionen für unsere Infrastruktur deutlich erhöhen und dabei den Fokus deutlich auf die Erhaltung der Substanz legen. Andererseits muss die Politik die Bürokratie reduzieren, damit mehr Geld fürs Bauen übrig bleibt. Das bedient auch das Interesse der großen Mehrheit aller Bürger.
Bürokratie, Umweltauflagen und Ausgleichsmaßnahmen gehörten zum Beispiel beim Neubau der A44 zu den Hauptkostentreibern. Sie sorgten wesentlich mit dafür, dass die Kosten je Autobahnkilometer von ursprünglich geplanten 8 Mio. Euro auf bis zu 30 Mio. Euro pro Kilometer steigen. Statt in einem der reichsten Industrieländer der Welt ständig darüber zu klagen, dass angeblich das Geld für die Straßen fehle, brauchen wir bundesweit eine grundlegende Reform, wie in Deutschland Bauaufträge zustande kommen.

 

Das neue Zentralgebäude der Lüneburger Leuphania-Universität wird statt veranschlagter Kosten von 57 Mio. Euro möglicherweise deutlich über 100 Mio. Euro kosten. Beim Berliner Großflughafen BER sind statt anfangs genannter 1,7 Mrd. Euro nun voraussichtlich mehr als 5 Mrd. Euro fällig? Im Fall BER ist auch die Rede von Baumängeln. Kann man die fast schon chronische Baukostenüberschreitung bei öffentlichen Projekten der Baubranche anlasten?

Auf keinen Fall! Hier will die Politik eine Verantwortung abwälzen, die aus unserer Sicht ganz klar bei ihr selbst liegt! Der Bund der Steuerzahler hat zahlreiche Großprojekte mit Baukostenüberschreitungen analysiert. Immer wieder hat sich herausgestellt, dass diese Projekte durch falsche Planungen teurer wurden als anfangs behauptet. Der Flughafen BER ist dafür ein beredtes Beispiel. Die Politik hat das Angebot eines privaten General-Unternehmers ausgeschlagen und gedacht, sie könne das alles besser. Das Ergebnis sehen wir heute! Man kann nicht einzelne Gewerke für die Misere BER verantwortlich machen, wenn der Kernfehler die fehlende professionelle Planung, Koordination und Kontrolle des Projektes ist!

 

Was passiert da?

Projekte werden im politischen Prozess regelmäßig vom Umfang und von den Kosten her kleingerechnet. Auch Materialverteuerungen werden nicht eingerechnet. So bringt man das Projekt durch Gremien und Parlament. Dann fängt man an zu bauen und stellt plötzlich fest, was alles noch dazu kommt und um wie viel es sich verteuert. Ich werbe hier für eine andere Mentalität, die die realistischen Kosten gleich mit in den Blick nimmt. Natürlich muss die Politik bei Projekten auch gleich Puffer für Mehrkosten vorsehen, damit Kostensteigerungen abgefangen werden können. Noch einmal: Nicht das Baugewerbe verursacht hier das Problem. Die Schuld liegt immer bei dem, der ein möglicherweise zu knapp geplantes Konzept oder ein unvollständiges Kostenangebot akzeptiert.

Im Übrigen wäre die Politik im Interesse von mehr Kostenklarheit und -wahrheit gut beraten, bei Großprojekten die Expertise der Baubranche einzubinden. Darüber hinaus wissen private Bauherren, dass es immer ratsam ist, für Unvorhergesehenes 10 Prozent der Bausumme zurückzustellen. Warum dringt diese Weisheit nicht in den öffentlichen Raum durch? Allerdings löst dieser Puffer nicht das Planungsproblem der Politik und deren vorsätzliches oder fahrlässiges Nichtwissen über die tatsächliche Dimension öffentlicher Bauvorhaben. Auch der Staat selber ist ein extremer Kostentreiber über eine Vielzahl weiterer Genehmigungsverfahren im Bauverlauf. Auch das wird oft nicht eingerechnet. Erst, wenn diese Kette von Fehlern abgestellt ist, ist ein 10-Prozent-Puffer überhaupt tragfähig.

 

Hans-Hartwig Loewenstein, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes (ZDB), beklagt eine immer schlechtere Zahlungsmoral der öffentlichen Hand. Bauunternehmen warten nach der Abwicklung von Aufträgen Monate oder gar Jahre auf ihr Geld. Was tun?

Natürlich muss der Staat Bauunternehmen, die vernünftig geliefert haben, die Rechnungen bezahlen. Auch unsere Mitglieder beklagen häufig, dass der Staat einer der schlechtesten Zahler sei. Dadurch entstehen bei den Unternehmen Liquiditätsengpässe, und im schlimmsten Fall droht eine Insolvenz. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf eine weitere gesetzliche Verschärfung aufmerksam machen, die den Bauunternehmern zu schaffen macht: die Ausweitung der Hinzurechnungsvorschriften bei der Gewerbesteuer. Wer heute einen Lagerplatz oder eine Werkhalle mietet, zahlt als Unternehmer bei der Gewerbesteuer eventuell drauf. Ich plädiere dafür, dass wir hier über den Sinn und Zweck der Vorschrift diskutieren.

 

Sie haben im April eine Studie zur Rekommunalisierung herausgegeben. Auch das Baugewerbe sieht sich kommunaler Konkurrenz ausgesetzt. Was ist aus Ihrer Sicht schlecht daran?

In unserer Studie haben wir darauf hingewiesen, dass der Umsatzanteil der kommunalen Unternehmen am nominalen Bruttoinlandsprodukt wächst. Das ist in allen Fällen, in denen private Betriebe die Tätigkeiten der kommunalen Unternehmen auch übernehmen könnten, schlecht! Denn Eigenbetriebe oder Tochter-GmbHs von Städten und Gemeinden haben kein Konkursrisiko. Ihre Verluste trägt im Zweifel der Steuerzahler. Deshalb können sie Preise anbieten, die ein Bauunternehmen, das im Preis ja auch seine Risikovorsorge einkalkulieren muss, nicht realisieren kann. Das kostet auch im Baugewerbe rentable tragfähige Arbeitsplätze und lässt öffentliche Strukturen wuchern. Und oft ist die Hoffnung der Kämmerer auf mehr städtische Einnahmen eine Milchmädchenrechnung, weil viele dieser kommunalen Pseudounternehmen am Ende auch noch Verluste einfahren. Deshalb fordert der BdSt, dass eine öffentliche unternehmerische Betätigung von Kommunen in Arbeitsfeldern, die auch von privaten Unternehmen abgedeckt werden können, generell verboten wird. Die Kommunalaufsicht muss in diesem Fall verpflichtet sein, dies zu beanstanden. Es hat sich oft gezeigt, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist. Der Trend zur Rekommunalisierung ist falsch. So kostet zum Beispiel ein in den privaten Sektor wuchernder Bauhof Arbeitsplätze und nicht selten auch das Steuergeld der Allgemeinheit.

 

Warum verfolgen viele Kommunen diesen Trend der Rekommunalisierung dennoch?

Es fehlt hier an Aufklärung. Viele Menschen glauben, dass Rekommunalisierung gut für sie ist. Doch sie übersehen dabei, dass das möglicherweise mit Quersubventionierungen verbunden ist, die alle Bürger über ihre Steuern oder überhöhte Dienstleistungspreise bezahlen müssen. Sympathie gewinnt die Rekommunalisierung auch, weil Privatisierungen kommunaler Wirtschaftsbereiche oft mit Einschnitten verbunden sind. Dabei übersehen die Menschen oft, dass dieser vormals kommunale Betrieb möglicherweise zuvor bereits über Jahre hinweg von der Kommune zugrunde gewirtschaftet worden war. Wir brauchen hier auch die Unterstützung der Bauwirtschaft, Missstände durch kommunale Schmutzkonkurrenz vor Ort offenzulegen. Kommunen dürfen sich nicht selbst das Monopol für die Schlaglochbeseitigung vor Ort geben. Das können private Betriebe meist besser und nachhaltig preiswerter für den Bürger.

 

Die Fragen stellen Jan Loleit und Carten Seim.

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